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„Lieber Freund, ich hab’ ja keine Zeit,
ich muss meine Vierte schreiben.“
Anton Bruckner zu Otto Kitzler
Mariä Empfängnis 1881: Der Katholik Anton Bruckner verlässt abends die Votivkirche am Wiener Ring und macht sich zu Fuß auf den Heimweg in die nahe Heßgasse 7. Schon von weitem sieht er Flammen.
Als er erfährt, dass das Ringtheater brennt, nimmt er die Beine in die Hand. Denn nur die Gasse trennt das Theater von seiner Wohnung. Dort lagern die Partituren und Entwürfe seiner Werke, in vielen Fällen Einzelstücke.
Mit Müh und Not dringt Bruckner durch Schaulustige und Absperrungen in seine Wohnung vor. Die Fensterläden sind schon angekohlt. Er packt seine Kompositionen zusammen und bewacht sie bis zum Ende des Brands, der mehreren Hundert Menschen das Leben kostet. Eigentlich wollte Bruckner an jenem Abend auch in dieses Theater. Nur eine Programmumstellung hielt ihn ab.
Wäre Bruckner an diesem Abend gestorben, so hätte er wichtige Werke nicht komponiert und auch den weiteren Erfolg seiner Symphonien nicht mehr wirklich miterlebt. Die Aufführung der Vierten Symphonie am 20. Februar 1881 – gegen den Willen der Wiener Philharmoniker vom Dirigenten Hans Richter durchgesetzt – war sein erster wirklich großer Erfolg als Symphoniker.
In anderen Zusammenhängen hatte sich Bruckner zu diesem Zeitpunkt im Wiener Musikleben etabliert – allen Widerständen zum Trotz. Seit dem Herbst 1868 war er Professor am Konservatorium und zunächst „expectierender“, ab 1878 tatsächlicher Hoforganist. Er feierte in Paris und London Erfolge an der Orgel.
Es ist daher nur eine Teilwahrheit, wenn in Bruckner vor allem das Opfer des Wiener Kritikerbetriebs gesehen wird: Niemand anderer als der von Bruckner als Hauptgegner wahrgenommene Kritiker Eduard Hanslick lobte sein Können als Organist und beispielsweise auch das Tedeum.
Ja, es stimmt: Hanslicks Besprechungen von Bruckner-Symphonien waren niederschmetternd („traumverwirrter Katzenjammerstyl“), aber derselbe Kritiker hat angesichts von Tschaikowskis Violinkonzert gefragt, „ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört“; er war generell in der Wortwahl nicht zurückhaltend.
Ja, es stimmt weiter: Die Wiener Philharmoniker mussten erst von Bruckners Können überzeugt werden. Manche Dirigenten haben seine Symphonien nicht verstanden. Und ja, der Kampf zwischen Wagnerianern und Brahmsanhängern wurde auch auf dem Rücken Bruckners ausgetragen – Brahms sah in Bruckner gar einen „armen verrückten Menschen, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen“ hätten. Aber selbst er machte gegen Ende seinen Frieden mit dem Oberösterreicher.
Und trotz mancher Widerstände gelang es Bruckner, Lektor an der Universität Wien (1875, ab 1880 mit Gehalt) und deren Ehrendoktor (1891) zu werden. Der Kaiser verlieh ihm das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens (1886) und Bruckner konnte aus seinen Einkünften seine Geschwister unterstützen. Die einseitige Sicht von einem ländlichen Genie, das am Wiener Großbürgertum zu scheitern drohte, ist mehr Dichtung als Wahrheit.
Bruckners Lebenslauf lässt sich besser als gesellschaftlicher Aufstieg vom dörflichen Lehrersohn zum Professor und Komponisten in der Hauptstadt verstehen. Ja, es gab herbe Rückschläge. Aber das ist nichts Ungewöhnliches und am Ende war Bruckner das, was er sein wollte: ein weltbekannter Symphoniker.
In Wien entstanden zunächst in der Phase zwischen 1868 und 1877 fünf Symphonien (in der jeweils ersten Fassung): die D-Moll-Symphonie (von Bruckner nach Ablehnung durch den Dirigenten Felix Dessoff „annulliert“, daher der irreführende Name „Nullte“) sowie die Symphonien zwei bis fünf.
Mit 1877 beginnt aber der Reigen der Überarbeitungen, welche die Symphonien zwei, drei und vier betrafen. Nicht mehr ganz so zügig entstanden daher die sechste (1881), siebte (1883) und achte Symphonie (1887, erste Fassung). Zwar begann die Arbeit an der Neunten schon 1887, aber eine weitere Welle von Überarbeitungen (Symphonien 1, 2, 3, 4 und 8) brachten das Projekt ins Stocken. Dazu kamen die Komposition des Streichquintetts (1878/79), die Entstehung und Revision des Tedeums (1881, 1883/84), des 150. Psalms (1892) und der Orchester-Kantate „Helgoland“ (1893).
Viel ist über Bruckners „Unsicherheit“ geschrieben worden, die ihn zur mehrmaligen Überarbeitung von Symphonien getrieben habe. Kritik von außen veranlassten in jedem Fall die Überarbeitungen der Symphonien drei und vier. Hier sind auch die Änderungen am größten.
Bei der Bearbeitung von Symphonie Nummer zwei hat insbesondere der Musikwissenschafter Robert Haas Einflüsse von „Ratgebern“ gesehen. Die späten Überarbeitungen rund um das Jahr 1890 schöpften zum Teil aber auch aus Erfahrungen, die Bruckner selbst in der Arbeit an den in der Zwischenzeit entstandenen Werken gemacht hatte.
Das Bild einer völligen Ablehnung von Bruckners Symphonien bis zum Durchbruch ist zu differenzieren. Die Aufführungen der zweiten Symphonie 1873 und 1876 waren Achtungserfolge. Gefolgt wurden sie vom Durchfallen der Dritten 1877, die herabwürdigende Reaktionen nicht nur beim Großteil des Publikums, sondern auch beim Orchester hervorrief.
Den ersten wirklich großen Erfolg mit einer Symphonie konnte Bruckner, wie bereits erwähnt, 1881 mit der Vierten in Wien erringen. Der internationale Durchbruch kam mit dem Erfolg der Siebten Symphonie in Leipzig (1884) und München (1885) sowie mit der Aufführung der Dritten in New York (ebensfalls 1885).
Und wie lebte der Mensch Bruckner zwischen Komponieren, Lehren und um seine Anerkennung kämpfend? In den ersten Jahren besorgte seine unverheiratete Schwester Maria Anna den Haushalt des Junggesellen. Als sie schon 1870 starb, fand Bruckner eine Stütze in Katharina Kachlmaier, die ihn bis an sein Lebensende betreute, am Schluss pflegte und die in seinem Testament bedacht wurde.
Sosehr Bruckner in seinen Symphonien um Ordnung in der Struktur bemüht war, so wenig kümmerte er sich in seiner Wohnung darum: Die ohnehin spärliche Einrichtung wurde von einem Flügel und einem Harmonium dominiert. Auf dem Flügel sollen, so bezeugen es Besucher, Papierstöße mit Entwürfen und Partituren, aber auch Kleidungsstücke herumgelegen haben.
Gegessen hat der Komponist oft abends im Gasthaus, dann aber viel, deftig und mit Bier. Anders als Brahms war Bruckner Nichtraucher, dafür aber dem Schnupftabak zugetan. Krümel davon waren auch auf den Tasten seines Flügels zu finden. Immer wieder zog es ihn mit Freunden in die Natur und nach Oberösterreich, neben St. Florian und Kremsmünster insbesondere zu seiner Schwester in Vöcklabruck.
In sein letztes knappes Lebensjahrzehnt ging Bruckner ab 1887 als arrivierter Künstler. Auch wenn er sich viele seiner Symphonien noch einmal zur Verbesserung vornahm, ist es das Jahrzehnt seiner Neunten Symphonie, die für ihn zu einem Wettlauf mit der Zeit werden sollte.
War er 1881 beim Theaterbrand dem Tod entgangen und konnte so den Lohn für seine Arbeit einfahren und weitere Kompositionen schaffen, so ging es jetzt darum, dem Tod sein letztes großes Werk abzutrotzen. Die Neunte ist mehr als Musik, sie ist Mystik zwischen Todesangst und Auferstehungshoffnung. Davon wird der vierte Teil dieser biografischen Annäherung berichten.
von KiZ-Chefredakteur Heinz Niederleitner
Biografie Bruckners - Teil 1
Biografie Bruckners - Teil 2
Biografie Bruckners - Teil 3
Biografie Bruckners - Teil 4
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