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„Als ich ein Mann wurde,
legte ich ab,
was Kind an mir war.“
Paulus von Tarsus (1 Kor 13,11)
Bruckners oberösterreichische Wirkungszeit, zwischen dem Abschluss seiner Lehrerausbildung 1841 und seiner Übersiedlung nach Wien im Sommer 1868, ist eine Zeit der Verwandlung. Am Beginn steht ein Hilfslehrerposten in Windhaag bei Freistadt, am Ende verlässt Bruckner als designierter Konservatoriums-Professor Linz.
Aus dem Nebenbei-Musikanten wird ein als Organist und Komponist geistlicher Vokalwerke anerkannter Berufsmusiker; der vorrangig kirchenmusikalisch orientierte Künstler entdeckt die Form der Symphonie für sich; der aus einem dörflichen Umfeld stammende Lehrersohn wird (wenn auch mit wenig Freude) ein Städter; und – auch das sei erwähnt – sein Jahressalär steigt von zwölf Gulden inklusive Kost und Logis in Windhaag auf 800 Gulden als Professor in Wien.
Rund zwei Jahre lang blieb Bruckner im Mühlviertel. In die Erinnerung hat sich eingeprägt, dass es ihm in Windhaag nicht behagte, allerdings ist das eine Teilwahrheit: Die Arbeitsbedingungen unter dem Schulmeister mit zusätzlichen Diensten an der Orgel, als Ministrant und in der Landwirtschaft waren hart. Aber Bruckner fand Anschluss zu den Menschen: Er musizierte in Duetten, spielte zum Tanz auf und schuf seine erste Messe (in C-Dur, Windhaager Messe, WAB 25).
Auf Windhaag folgten zwei Jahre in Kronstorf – in derselben Funktion, aber mit angenehmerem Chef und vor allem in der Nähe von Steyr. Die Hilfslehrerzeit beschloss Bruckner, obwohl mittlerweile geprüfter Schulmeister, in St. Florian: Er kehrte in jenes Schulhaus und in jenen Haushalt zurück, wo er schon als Sängerknabe gelebt hatte.
Hier geschah 1848 Entscheidendes: Bruckner wurde zunächst provisorischer und nach 1851 definitiver Stiftsorganist. Auch wenn er zahlreiche andere Verpflichtungen hatte, trat damit die Beschäftigung mit Musik an die erste Stelle. Bruckner nutzte seine karge Freizeit für musikalische Studien und knüpfte noch von St. Florian aus Kontakt zu dem Musiktheoretiker Simon Sechter in Wien, der sein Lehrer per Fernkurs wurde.
Aber nicht nur in Sachen Bildung war Bruckners Ehrgeiz in St. Florian nicht befriedigt, was seine erfolglose Bewerbung um eine Organistenstelle in Olmütz in Mähren (heute Olomouc) zeigt. Dagegen hat die Geschichte, wie Bruckner nach Linz kam, komische Züge: Der Klavier- und Orgelstimmer Alfred Just war der Annahme, am Tag des Vorspielens für die Linzer Domorganistenstelle sei Bruckner sicher in der Landeshauptstadt. Also kam er nach St. Florian, um sich der ausnahmsweise nicht genutzten Orgel dort anzunehmen.
Zu seinem Erstaunen traf er Bruckner aber im Stift. Just bedrängte den Zögerlichen, bis dieser sich auf einen Leiterwagen nach Linz setzte. Dort suchte Bruckner seinen Musiklehrer aus der Präparandie, Johann August Dürrnberger, auf.
Als dieser erfuhr, dass Bruckner gar nicht beim Vorspielen antreten wollte, redete er ihm zu und nahm ihn mit in den Dom (heute Alter Dom, Ignatiuskirche). Dort spielte Bruckner als letzter Kandidat die Konkurrenz in Grund und Boden.
Am 8. Dezember 1855 übernahm er seinen ersten Orgeldienst im Dom. Dass er erst knapp vor Weihnachten tatsächlich nach Linz zog, hat nach Ansicht der Biografen Göllerich und Auer damit zu tun, dass ihm der Wechsel in die Stadt Überwindung kostete.
Die Jahre in Linz waren für Bruckner mehr als intensiv: Der Dienst betraf nicht nur die Domorgel, sondern auch jene der nahegelegenen Stadtpfarrkirche. Da selbst zum nachmittäglichen Segen am Sonntag gespielt werden musste, hatte Bruckner kaum Freizeit, zumal er zwecks Aufbesserung seiner Einkünfte Klavierstunden gab. Wie es sich gehörte, engagierte sich Bruckner auch gesellschaftlich, nämlich im Sängerbund „Frohsinn“, dessen Chorleiter er später werden sollte. Wollte er aber Zeit für seine Studien bei Simon Sechter haben, die zunehmend Aufenthalte in Wien erforderten, musste er einen Organisten-Ersatz finden – und bezahlen.
Vor den Studien bei Sechter hatten vor allem der Ennser Chorleiter Leopold von Zenetti und der St. Florianer Organist Anton Kattinger Bruckner musikalisch vorangebracht. In der St. Florianer Zeit waren liturgische Werke wie das Requiem (WAB 39) und die Missa solemnis (WAB 29) enstanden. Aus Kronstorf sind eine Messe in d-Moll ohne Gloria („Kronstorfer Messe“, WAB 146) und eine Gründonnerstagsmesse (WAB 9) überliefert.
Da Sechter seinen Schülern das Komponieren während der Ausbildung verbot und sich Bruckner mit wenigen Ausnahmen daran hielt, entstanden in den ersten Linzer Jahren nur wenige Stücke. Das sollte sich nach der Sechter-Zeit ändern, wobei Bruckner weiter „in Ausbildung“ blieb: Mit dem Linzer Kapellmeister Otto Kitzler studierte er Formenlehre und Instrumentation. Im Rahmen dieses Unterrichts lernte Bruckner nicht nur die Musik Richard Wagners kennen (den er 1865 persönlich traf), sondern hatte auch größere Kompositionsarbeiten auszuführen: eine Ouvertüre (WAB 98), einen Orchestermarsch (WAB 96) und eine Symphonie
(f-Moll, „Studiensymphonie“, WAB 99). Nach Ende seiner Studien bei Kitzler lud Bruckner den Kapellmeister zum Feiern beim „Jäger im Kürnberg“ (Leonding) ein.
Zu all den Studien, die Bruckner in jenen Jahren unternahm, kamen Prüfungen, die er offenbar zur Selbstversicherung anstrebte. Berühmt wurde die Wiener Orgelprüfung im November 1861, bei der ein Prüfer ausrief: „Er hätte uns prüfen sollen!“ Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass Bruckner „nebenbei“ Prüfungen zum Hauptschul- und zum „höheren“ Lehrer bestand, nachdem er privat unter anderem Latein gebüffelt hatte.
Für Bruckner erfolgte nach dem Abschluss der Lehre bei Kitzler eine produktive Zeit: In Linz entstanden unter anderem die drei großen Messen (d-Moll 1864, e-Moll 1866, f-Moll 1867/68, WAB 26–28), wobei die mittlere zur Weihe der Votivkapelle des Neuen Linzer Domes 1869 erklang. Für dessen Grundsteinlegung hatte Bruckner 1862 eine Festkantate geschrieben.
Angesichts dieser reichen Produktion geistlicher Musik ist es kein Wunder, dass ein Freund – Moritz von Mayfeld – auf eine Symphonie drängte. „Der Mayfeld“ habe ihn „ins Symphonische einitrieb’n“, erzählte Bruckner später. Die Studiensymphonie sah er nur als Schularbeit. Und Mayfelds Idee machte Sinn: Mit dem Unterricht bei Sechter und der erwähnten Orgelprüfung hatte Bruckner Kontakte nach Wien geknüpft. Wer musikalisch reüssieren wollte, musste dorthin. War es da nicht gut, eine Symphonie im Portfolio zu haben?
So schrieb Bruckner 1865/66 seine Erste Symphonie (WAB 101; Achtung: die sogenannte „Nullte“, WAB 100, entstand erst danach). Der Komponist hat die Erste sein „keckes Beserl“ (freches Mädel) genannt.
Noch während Bruckner nach einer Aufführungsmöglichkeit suchte, überschattete eine große Krise sein 43. Lebensjahr. Sie hatte sich angekündigt: Schon Sechter musste Bruckner mahnen, auf seine Gesundheit zu achten. Letztlich forderten die Jahre des musikalischen Dauer-Dienstes, des Lernens und des Musikunterrichts ihren Preis: Aufgrund totaler Erschöpfung fuhr er am 8. Mai 1867 nach Bad Kreuzen auf Kur und blieb dort bis zum 8. August.
Sein Arzt habe ihm „den Irrsinn als mögliche Folge“ angekündigt, schrieb er einem Freund. Die Überreiztheit zeigte sich an einem Zählzwang. In Bad Kreuzen trieb ein Platzkonzert böhmischer Musiker den nervösen Bruckner regelrecht in die Flucht.
Nach Linz zurückgekehrt ging es aufwärts: Am 9. Mai 1868 führte Bruckner seine Erste Symphonie mit einem halbprofessionellen Orchester im Linzer Redoutensaal auf. Auch wenn viele das Werk nicht verstanden und mancher Musiker Proben und Konzert als „a Hetz“ (einen Spaß) auffasste, war es ein wichtiger Schritt für Bruckner.
Mayfeld schrieb in der Linzer Zeitung: „Wir wünschen, dass er bald eine seinen Fähigkeiten und musikalischen Kenntnissen entsprechende Stellung in der Residenzstadt Wien finden möchte, um seinem schöpferischen Schaffen mit Muse obliegen zu können.“ Da Bruckners Lehrer Sechter inzwischen gestorben war, bewarb er sich um dessen Stelle am Wiener Konservatorium. Der Herbst 1868 markierte damit einen weiteren Einschnitt in seinem Leben. Als gereifter und – im mehrfachem Sinn – geprüfter Musiker betrat Anton Bruckner das glatte Wiener Parkett.
von KiZ-Chefredakteur Heinz Niederleitner
Biografie Bruckners - Teil 1
Biografie Bruckners - Teil 2
Biografie Bruckners - Teil 3
Biografie Bruckners - Teil 4
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