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Bereits vor einem Jahr stellten zwei Münchner Forscher, der Pathologe Andreas Nerlich und der Rechtsmediziner Oliver Peschel, mit Judith Wimmer vom Kunstreferat der Diözese Linz die Eckdaten ihrer Forschungen im übervollen Kulturraum der Volksschule St. Thomas vor. Erstmals seit dem Bekanntwerden der Existenz der Mumie Anfang des 19. Jahrhunderts konnten Fragen beantwortet werden, die stets für Mutmaßungen und abenteuerliche Spekulationen gesorgt hatten. Die volkstümliche Bezeichnung „luftg’selchter Pfarrer“ zeugt davon, dass man nicht wusste, was die Mumie bedeutete und wie man mit ihr umgehen sollte. Die Münchner Wissenschaftler haben ihre Arbeiten nochmals erweitert und diese am Sonntag, 10. November 2019 in einem 213 Seiten starken Buch präsentiert.
Alle Untersuchungen weisen darauf hin, dass es sich bei der Mumie um Franz Xaver Sidler von Rosenegg handelt, der Chorherr von Waldhausen und ab 1743 Pfarrer von St. Thomas war. Der Pfarrer verstarb am
2. September 1746 an einem Blutsturz, den er infolge einer ausgeprägten Lungentuberkulose erlitt. Die Knochenbefunde zeigen, dass er von Kindheit an gut ernährt war, was zur Herkunft aus der Verwalterfamilie der Herrschaft Kreuzen passt. Franz Xaver hatte 15 Geschwister, von denen weitere drei wie er Ordensleute wurden: einer Dominikaner, der zweite Zisterzienser in Baumgartenberg, und Wolfgang Christoph trat wie Franz Xaver in das Chorherrenstift Waldhausen ein. Die beiden Chorherren feierten miteinander 1732 Primiz. Nach zehn Jahren als Pfarrer in St. Nikola kam Franz Xaver nach St. Thomas.
Der große Durchbruch, der gelang, war die Klärung, warum sich der Leichnam als Mumie erhalten hat. Dies machte die Computertomografie (CT) möglich. Man entdeckte im Bauchraum Füllmaterial, das aus Textilien, Hobelspänen und Ästchen bestand. Getränkt mit Zinkchlorid sorgte das Material dafür, dass dem Körper die Flüssigkeit entzogen wurde und dieser sich dadurch all die Jahrhunderte erhalten konnte. Da der verstorbene Pfarrer in der Gruft seine letzte Ruhestätte fand, die damals nur von der Kirche aus zu erreichen war, war etwa eine Balsamierung naheliegend. Sie sollte verhindern, dass sich Verwesungsgeruch im Kirchenraum ausbreitete. Die Art, wie der Leichnam in St. Thomas behandelt wurde, ist bislang nur im Zusammenhang mit Mumien im Stift Waldhausen und nun erst seit einigen Monaten ein weiteres Mal hinsichtlich eines Leichnams aus dem Jahr 1904 in der Forschung belegt: Das Füllmaterial wurde durch den After eingeführt. Dazu war kein Arzt notwendig, das dürfte Berufswissen der Bestatter gewesen sein.
Der Pfarrer von St. Thomas wurde bereits am Tag nach seinem Sterben bestattet. Das verwundert, denn in den allermeisten Fällen wurde eine Balsamierung vorgenommen, um ein späteres Begräbnis und eine spätere Aufbahrung – eventuell im Stift Waldhausen – möglich zu machen. Auch das könnte man bei Pfarrer Sidler in Betracht ziehen. Ein Blick in die Sterbebücher der Pfarre liefert aber einen Hinweis auf das rasche Begräbnis. Statt der jährlich 15 bis 25 Todesfälle sind in St. Thomas von Mitte 1746 bis 1747 80 Bestattungen dokumentiert. Vermutlich musste der Pfarrer wegen einer beginnenden Epidemie unverzüglich begraben werden.
Betrachtet man das Buch, das eine Reihe aufwendiger wissenschaftlicher Befunde beinhaltet, fragt man sich, wer das alles bezahlt hat. Im wesentlichen der Verein „Archäomedizin“ in München, erklärt Judith Wimmer. Lediglich die Baumaßnahmen zur Präsentation des mumifizierten Leichnams bleiben der Pfarre St. Thomas. Die zwei Räume der Gruft sind jederzeit zugänglich (Beleuchtung nach Einwurf einer 2-Euro-Münze). „Dank der neuen Untersuchungen können wir erstmals das historische Umfeld des mumifizierten Leichnams zeigen“, so Wimmer – und was ihr das Wichtigste ist: „Wir konnten die Mumie wieder zu einem Menschen machen und diesem so seine Würde zurückgeben.“
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