REZEPT_
Die Qual der Wahl fängt schon damit an, herauszufinden, welche Bücher überhaupt für welches Alter geeignet sind. „Hier kann und soll man ausprobieren, testen, individuell auf das eingehen, was dem Kind gefällt und es anspricht“, sagt die Rezensentin und freie Journalistin Mirjam Dauber. „Natürlich kann man die Altersangaben der Verlage zu Rate ziehen, wobei ich der Meinung bin, dass diese – vor allem im Kindersachbuch – oft viel zu niedrig angesetzt sind. Was schade ist, weil sich ältere Kinder dann häufig davon abhalten lassen, sie zu lesen.“ Das Lesen entwickle sich unterschiedlich, Bilderbücher etwa seien für viele Kinder eine tolle Erstleselektüre wegen des hohen Bildanteils und der meist reduzierten Textmenge. Das bringe rasche Erfolge und motiviere zum Dranbleiben. Als kompetente Ansprechpartner:innen empfiehlt Mirjam Dauber Bibliothekar:innen und Buchhändler:innen. „Wichtig ist mir, zu erwähnen, dass das Vorlesen sehr lange seine Berechtigung hat, auch wenn das Kind schon selber lesen kann. Leselust, Lesefreude, all das darf lange geteilt und gepflegt werden.“
Kinder können laut Mirjam Dauber von Anfang an etwas mit Büchern anfangen, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Anfangs lauschen Babys gerne der Stimme ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen. „Später werden Bücher, meist aus stabiler Pappe, vielseitig ‚erlebt‘ – zum Entwickeln haptischer Fähigkeiten, es wird manchmal auch hineingebissen, es werden Bilder erkannt, es folgt ein Einstieg ins ‚dialogische Vorlesen‘.“ Sei diese Basis gelegt, würden Kinder viel Positives mit Büchern verknüpfen, auch wenn es keine Garantie sei, dass sie zu begeisterten Leser:innen werden.
Was unterscheidet nun gute von schlechten Kinderbüchern? Dazu Dauber: „Mich stört das Rosa-Hellblau-Schema, sprich wenn Bücher sehr klischeebehaftet sind und auf allzu starren Rollenbildern basieren. Aber die Welt der Kinderliteratur ist eine riesengroße und vielfältige. Und vor allem eine, die moderne Lebenswelten sehr gut abbildet und Charaktere in all ihren unterschiedlichen Facetten zeigt.“ Gute Kinderbücher würden Antworten liefern, aber auch Fragen stellen und anleiten, kritisch zu sein. „Sprache ist ebenso entscheidend – man kann und soll Kindern eine gewisse Komplexität zumuten, darf sie sanft über den Tellerrand schubsen, sie mit neuen Themen und Sichtweisen konfrontieren.“ Dabei sollen aber der Humor und eine gewisse Leichtigkeit nicht zu kurz kommen, sagt die Kinderbuchexpertin. Sowohl bei Novitäten als auch bei Klassikern rät sie, kritisch hinzuschauen: „Ich bin ein großer Fan davon, mit Kindern neue und ‚ältere‘ Literatur zu entdecken – beides ist bereichernd und sinnvoll. Eine Kindheit ohne ‚Franz-Geschichten‘ von Christine Nöstlinger etwa wäre um vieles ärmer und ihr Witz ist für mich nahezu unerreicht, um nur ein Beispiel zu nennen.“ Auf neue Trends und Qualität werde man in Fachzeitschriften wie „Eselsohr“ oder „1001 Buch“ aufmerksam.
Eltern und auch jenen, die Kindern vorlesen oder ein Buch verschenken wollen, rät Dauber, mit dem jeweiligen Kind gemeinsam in eine Buchhandlung zu gehen. „Kinder wählen häufig ganz anders aus als ihre Eltern. Bei allem Respekt vor dem Wunsch ‚etwas für die Bildung zu tun‘, den viele Eltern haben, spricht auch nichts gegen Spaß und Unterhaltung. Der Buchmarkt bietet erfreulicherweise beides an.“
Wenn es das Budget erlaube, könne die Auswahl an Kinderbüchern zuhause nicht zu groß sein. Als kostengünstige bis kostenlose Alternative zum Stillen des Lesehungers böten sich stets Bibliotheken an. „Generell finde ich, dass Bücher präsent sein sollen, und zwar welche für Kinder und für Erwachsene“, sagt Mirjam Dauber.
REZEPT_
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>