BRIEF_KASTEN
So wie bei mir ist es bei vielen: Ohne ginge es nicht mehr. Gott sei Dank gibt es die Brille, die einem aus dem Dilemma hilft. Kurzsichtigkeit ist weit verbreitet. Die Lebensgewohnheiten – all die Bildschirme, das Lesen bei künstlichem Licht: Dem Auge tut das alles nicht gut. Ein kurzsichtiger Mensch weiß: So verschwommen, wie er sie ohne Brille wahrnimmt, ist die Welt nicht. Schöner, faszinierender, aber manchmal auch erschreckend deutlicher ist sie bei genauer Sicht.
Kurzsichtig lässt sich nur das Naheliegende halbwegs gut wahrnehmen. Die Hintergründe aber bleiben im Vagen, das Ferne verschwimmt in nebelhafter Undeutlichkeit.
Es gibt auch die Kurzsichtigkeit der Seele, die nur das Naheliegende wahrnimmt: das Hier und das Heute. Hinter dem Vordergründigen erkennt sie nichts mehr. Weder die tieferen Gründe noch das ferne Morgen des Lebens vermag sie ahnen. Worauf alles hinausläuft und was uns im Leben erwartet, gerät aus dem Blick. Den Sinn hinter dem Heute, die fernen Ziele, das darüber hinaus Mögliche zu erhoffen, hat sie verlernt.
Der Glaube lässt die Welt über das Vordergründige hinaussehen: dass Geben seliger ist als Nehmen. Im Streit sucht er schon die Versöhnung, im Schweigen das Wort. In der Trauer ahnt er den Trost. In den Verstrickungen des Heute muss man sich nicht verlieren, sondern in fast fröhlicher Hoffnung darf man ein Morgen erwarten. Wenn einem die Aussicht vernebelt erscheint: Man muss sich nicht scheuen, nach dieser Brille zu greifen.
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