Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
Rund 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stehen Gemeinden und Pfarren in Österreich vor der Frage, wie sie Kriegerdenkmäler im Ort zeitgemäß gestalten und zugleich allen Opfern gerecht werden können. „Viele Engagierte in Pfarren und Gemeinden haben hier in der Diözese Linz schon wichtige Schritte gesetzt“, war das Resümee einer Tagung im November 2024. Es bleibt aber noch viel zu tun.
„Darüber reden, kontextualisieren und die geschichtlichen Zusammenhänge in den Blick nehmen statt zudecken und ausradieren“ lautet die Prämisse der Initativgruppe, die sich in der Diözese Linz mit dem Thema der Kriegerdenkmäler intensiv auseinandergesetzt hat. Ihr gehören an: Projektleiterin Martina Gelsinger (Fachbereich Kunst und Kultur), Andreas Schmoller (Jägerstätter-Institut der KU Linz), Eva Bauernfeind-Schimek (Fachbereich Soziales) und Wilhelm Seufer-Wasserthal (Maximilianhaus Attnang-Puchheim).
Bereits 1988 warnte der Theologe Gottfried Bachl vor der einseitigen Erinnerungskultur in Österreich. In einer Predigt unter dem Titel „Ergänzt die Kriegerdenkmäler!“ kritisierte er, dass Kriegerdenkmäler fast ausschließlich gefallene Soldaten ehrten, während andere Opfer häufig übersehen würden. Der Universitätsprofessor, der in Linz und Salzburg lehrte, beschrieb seine eigene Perspektive: Er war zu jung für den Krieg der Hitler-Zeit, später zu alt für das österreichische Bundesheer. Dennoch hatte er schon als Kind Erfahrungen mit der NS-Zeit: Er sah Deserteure, die in seinem Haus Unterschlupf fanden, und hörte von den Schrecken der Konzentrationslager, insbesondere Mauthausen.
Zu den Toten zwischen 1938 und 1945 gehörten nicht nur gefallene Soldaten, sondern ebenso Zivilist:innen, die durch den Bombenkrieg ums Leben kamen, und alle, die durch Gestapo und KZ-SS ermordet wurden. Trotzdem finde man sie auf Denkmälern kaum. Die Namen der Soldaten dominierten die Erinnerung.
Bachl erinnerte an ein von einem Nazi-Schergen erschossenes kleines Kind und formulierte einen klaren Appell: „Wenn es Tafeln, Säulen und Denkmäler geben soll, dann gehört darauf auch der vergessene Name dieses Mädchens […] in gleicher Schrift, auf gleicher Höhe und mit gleicher Ehrfurcht wie die Namen der Gefreiten, Feldwebel und Generäle.“ Bachl forderte, Kriegerdenkmäler in „Friedensdenkmäler“ zu verwandeln – Orte, die nicht Stolz, sondern Demut lehrten.
Der Experte und Historiker Clemens Gruber untersuchte den Wandel der österreichischen Gedenklandschaft vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart.
Kriegerdenkmäler waren im Ersten Weltkrieg Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Sinnstiftung und Verarbeitung des Massensterbens. Sie standen für Opfermut und Pflichterfüllung, weniger für die Frage nach Schuld oder Verantwortung. In der Zwischenkriegszeit wandelten sie sich zu Symbolen nationaler Identität. Mit martialischer Bildsprache und patriotischen Inschriften wurden sie zu Orten der Heldenverehrung, deren Pathos den politischen Extremismus jener Jahre widerspiegelte.
Während des Nationalsozialismus erhielten diese Denkmäler eine neue Funktion: Sie dienten der ideologischen Vereinnahmung, der Verherrlichung des „Heldentodes“ und der Legitimierung des totalitären Gewaltstaates. Nach 1945 blieben viele dieser Monumente unverändert bestehen – die Gesellschaft suchte Trost in vertrauten Formen, vermied aber lange Zeit die Auseinandersetzung mit Täterrollen und ideologischer Verstrickung.
Erst in den letzten Jahrzehnten begann ein Umdenken: Gemeinden, Initiativen und Künstler:innen stellen Fragen nach den Ausgeschlossenen, nach jenen, die nicht genannt oder bewusst vergessen wurden – Zivilopfer, Deserteure, Opfer des NS-Regimes.
Clemens Huber betont, dass heutige Erinnerungsstätten als Lernorte demokratischer Verantwortung verstanden werden sollten. Sie sollen den Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart ermöglichen, nicht als stumme Steine, sondern als Spiegel gesellschaftlicher Selbstreflexion. „Erinnern“ bedeute, Geschichte in ihrer Ambivalenz sichtbar zu machen: nicht um Schuld zu perpetuieren, sondern um das Bewusstsein für Frieden, Menschenrechte und Zivilcourage zu stärken.
„Kunst wird zur ‚Sprache der Erinnerung‘ und übernimmt wichtige Aufgaben für die Gegenwart“, betont Kunstwissenschaftlerin Martina Gelsinger zum Umgang mit Kriegerdenkmälern.
Ein Beispiel ist das 2018 durch ein Textband aus Metall und Beton und eine Gedenktafel aus Glas erweitere Kriegerdenkmal in Grünbach bei Freistadt (siehe Fotos rechts). Die von den Künstler:innen Sarah Decristoforo und Thomas Kluckner ausgewählten Wörter stammen aus dem Roman „Lena − Unser Dorf und der Krieg“ der Kinder- und Jugendbuchautorin Käthe Recheis. Die wissenschaftlich recherchierten Namen und Lebensdaten der in Niedernhart, Mauthausen und Hartheim zu Tode gekommenen Grünbacher Gemeindebürger:innen sind auf einer Gedenktafel aus Glas zu lesen.
Der Grünbacher PGR-Obmann Reinhold Hofstetter berichtet von durchwegs positiven Reaktionen im Ort. Wichtig sei die gute Information der Bevölkerung gewesen.
Auch Kunstreferentin Martina Gelsinger betont die Relevanz der Bildungsarbeit im Vorfeld solcher Kunstprojekte. Weitere künstlerische Neukontextualisierungen von Kriegerdenkmälern seien in der Diözese Linz in Planung.
Am 30. Oktober um 18 Uhr wird im Festsaal des Bischofshofs in Linz die Dokumentation der Tagung „Neue Perspektiven auf Kriegerdenkmäler: Geschichte, Transformation und Gedenkkultur“ präsentiert. Diese enthält weiterführende Beiträge und gibt praktische Impulse für die Arbeit mit Denkmälern in Gemeinden und Pfarren. Auch der vollständige Text von Gottfried Bachl aus dem Jahr 1988 ist darin enthalten.
Bei der Präsentation hält Eva Meran vom Österreichischen Haus der Geschichte den Impulsvortrag „Die Gegenwart der NS-Vergangenheit: Ins Gespräch kommen“. Bischof Manfred Scheuer wird Grußworte sprechen.
Das Buch „Neue Perspektiven auf Kriegerdenkmäler“ ist u. a. im Fachbereich Kunst und Kultur erhältlich: 0732 99 51 51 4520 oder
kunst@dioezese-linz.at.
Historiker Clemens Gruber kann über das katholische Bildungswerk als Referent zum Thema Kriegerdenkmäler angefragt werden: 0732 76 10-3211.

Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
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