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ist ein Roman über eine in die Jahre und (somit) in die Krise gekommene Ehe. Die zwei, die sich immer weiter voneinander entfernen, sind Richard, ein Gletscherforscher mit einer lebenslangen Sehnsucht nach dem Norden Kanadas, und Natascha, eine anerkannte und erfolgreiche Schriftstellerin. Richard ist in einem Hotelbetrieb in Tirol aufgewachsen. Dies und Hamburg als Wohnort des Paares sowie einen berühmten Schirennläuferbruder hat der Ich-Erzähler mit dem Autor gemeinsam. Dass Richard als Kind manchmal zur Strafe in den Kühlraum gesperrt wurde, erklärt für seine Frau hinreichend, warum ein emotionaler Eisberg aus ihm geworden sei. Beide haben eine zehnjährige Tochter, Fanny. Nataschas verstorbene Zwillingsschwester Katja ist im Geschehen ebenso präsent wie Tim, Richards kanadischer Freund und Glaziologenkollege, und Idea, seine ehemalige Studentin und Vertraute.
Der Roman spielt im Sommer des Jahres 2015. In den USA herrscht Wahlkampf, was unter den Gletscherforschern höchste Besorgnis vor der drohenden politischen Katastrophe vor allem im Bezug auf das Weltklima auslöst. In Deutschland erreicht die Flüchtlingsbewegung ihren Höhepunkt. Richard und Natascha entschließen sich, ihr ererbtes Sommerhaus in einer abgelegenen Gegend in der Nähe von Hamburg an eine syrische Familie mit zwei Kindern zu vermieten. Das sorgt für Unruhe im Dorf, schürt Vorurteile, setzt Gerüchte in Umlauf und bringt viel mediale Aufmerksamkeit mit sich. Und es macht auch die unterschiedlichen Auffassungen Richards und seiner Frau in der gemeinsam entschiedenen Sache deutlich. Gefühl steht gegen Vernunft. Die Auseinandersetzung eignet sich hervorragend als Schlachtfeld für die Beziehungskämpfe der beiden. Und darüber hinaus passieren tatsächlich besorgniserregende Dinge rund um die Familie Farhi und das Haus am See, was die Protagonisten zum Handeln zwingt. – Ein sehr vielschichtiger, sehr reflektierter, sprachlich herausragender Roman. Viel mehr als eine literarische Verarbeitung der Flüchtlings-, Klima- und Ehekrise.
Norbert Gstrein, Die kommenden Jahre, Hanser, München 2018, 284 S., € 22,70.
Susanne Scholl spannt den erzählerischen Bogen in ihrem Roman von der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten bis zur aktuellen Flüchtlingsbewegung des Jahres 2015. Im Mittelpunkt steht Lea, die Tochter eine jüdischen Familie in Wien. Fritzi, Leas Mutter, kann vor der nationalsozialistischen Verfolgung als junge Frau nach England fliehen. Ein Teil ihrer großen Familie überlebt den Holocaust nicht. Fritzi kehrt nach dem Krieg mit ihrem Mann nach Wien zurück, wo Lea geboren wird. Alles scheint gut zu werden. Um der Last dieser Vergangenheit zu entfliehen, studiert Lea Geschichte, heiratet einen Mann aus einem ganz anderen Milieu und bekommt Kinder und Enkelkinder. Ein normales Familienleben, mit Höhen und Tiefen, bis Ereignisse, die mit der aktuellen Flüchtlingswelle zusammenhängen, bedrohlich in die Familie einwirken. Die Gespenster der Vergangenheit sind für Lea zu neuem Leben erwacht.
Sprachlich klar und schnörkellos, spannend und mit viel Empathie für ihre Figuren erzählt Susanne Scholl über die stete Gegenwart der Vergangenheit, die über Generationen hinaus wirksam bleibt.
Susanne Scholl, Wachtraum, Residenz Verlag, Salzburg – Wien 2017, 218 S., € 22,70.
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