Es klingt wieder so etwas wie Stolz in der Stimme des Vaters: Stolz auf Tochter Patricia*, weil sie jetzt aus eigenem Willen den Führerschein machen will und weil sie sich, ebenfalls aus freiem Willen, für eine Langzeittherapie entschieden hat. Als Patricia ihrem Vater erzählte, sie hätte im Gefängnis einen negativen Drogentest geschafft, war „negativ“ eine Frohbotschaft. „Clean“ war sie schon lange nicht mehr gewesen.
Dabei war die Beziehung des Vaters zu seiner Ältesten ganz am Boden gewesen. Auf gut Deutsch: Er hatte sie hinausgeworfen, weil sie nicht den Rest der Familie auch noch in den Sumpf ziehen sollte. Drogen. Die „falschen Freunde“. Die ständigen Wutausbrüche.
Vater Paul lebt in zweiter Ehe mit Lucia*, und beide haben Kinder mit in die Ehe gebracht. Jetzt haben sie auch ein gemeinsames Kind. Eine richtige Patchworkfamilie, wie man sagt. Patricia ist die Älteste. Ein schönes Haus, der Vater ein leitender Angestellter, auch Lucia ist berufstätig. Eigentlich gute Voraussetzungen für ein angenehmes Leben.
Patricia war sechs, als Lucia mit Paul zusammenzog. Zwischen den Kindern machen die beiden eigentlich keinen Unterschied, für Patricia war Lucia weniger Mutterersatz als vielmehr Wegbegleiterin – eine Vertrauensperson. „Ich hab’s nicht überrissen“, sagt der Papa über die Zeit, als die ganze Geschichte begann. Er war viel unterwegs, wenig daheim. Patricia war 14, als sie zum ersten Mal Marihuana „probierte“. Lucia gegenüber hat sie es gestanden. Immer wieder hat sie „es eh nur probiert“, – bis es kein Probieren mehr war, sondern harte Wirklichkeit. Patricia, die Süchtige.
Was sie damals nicht wussten: Die Tochter hatte mit Depressionen zu kämpfen. Und: Drogen kosten. Patricia begann zu „stehlen“. Sachen aus dem Haushalt, Kleidung, auch Schmuck, den sie versetzte, um an Drogen zu kommen. Sie ging in eine Lehre. Weil sie ein äußerlich gewinnendes Wesen ausstrahlte, waren ihre Umsätze gut. Trotzdem. Eines Tages ging es nicht mehr. Die Talfahrt begann. „Rolltreppe abwärts“, wie es der berühmte Jugendroman von Hans Georg Noack aus dem Jahr 1970 nennt. Aber so was von bergab! Man konnte mit ihr reden und dann wieder nicht. Immer schlimmer wurde es. Ständig diese Wutausbrüche. Bis der Vater die Tochter hinauswarf, sie sich selbst überließ – aus Ohnmacht, Verzweiflung, Enttäuschung und Wut.
Sie lebte dann gemeinsam mit „Freunden“ in einer von den Eltern finanzierten Wohnung. Ständig war die Polizei im Haus. Paul gesteht: „Ich habe manchmal sogar fast gewünscht, sie würde sterben.“
Damals, als sie gemeinsam in die Drogenberatung gegangen sind, war es ein erster Riesenschritt. Gebracht hat es zunächst noch wenig. Auch mit der Polizei haben die Eltern nicht die besten Erfahrungen gemacht. Diese hat oft keine wirkliche Handhabe. Viel Papier, wenig wirksame Hilfe, so erlebten sie es.
„Man fühlt sich so machtlos, sieht das Kind und kann nichts tun“, erzählen Lucia und Paul. Von den Dealern wurde Patricia als Lockvogel benutzt. Für Paul war es eine gute Nachricht, als er erfuhr, dass sie eingesperrt würde. Im Gefängnis bekomme sie wenigsten keine Drogen, dachte er. Dass dem keineswegs so sein sollte, wusste er noch nicht.
Als der Richter Patricia die Möglichkeit eröffnete, sie könne einen Teil der Strafe in einer Therapie absolvieren, nahm sie – in den Augen der Eltern ein Wunder – das Heft über ihr Leben wieder selbst in die Hand. Die Bewährungshilfe des Vereins Neustart steht ihr zur Seite. Sie wollte selbst heraus aus dem Sumpf, auch wenn die Therapieklinik weit weg, in einem anderen Bundesland, lag. Vielleicht spielte auch ein traumatisches Erlebnis – ein schwerer körperlicher Übergriff – eine Rolle. Damals floh sie, ohne Geld, ohne alles, einfach nur weit weg von allem. Und kam zurück. Nach Hause.
Dass die Sorge um Patricia auch für die Beziehung des Paares eine schwere Belastung darstellte, ist nur zu verständlich. Aber sie haben es durchgestanden – und sie wissen, dass es noch lange nicht geschafft ist. Bis Mai wird die Therapie noch dauern. Dann kommt Patricia zurück. Da wird es wichtig sein, dass sie gleich Arbeit findet.
„Nicht Patricia war das Problem, sondern ihre Krankheit“ – so sieht es Lucia heute. Einmal hat sie bei einer Predigt in der Kirche gehört: Jemanden unter guten Umständen zu lieben ist, ist leicht. Aber Liebe ist dann gefordert, wenn es jemandem dreckig geht. Jetzt versteht sie, was damit gemeint ist: „Wie Gott uns die Kinder gegeben hat, so müssen wir sie halten und lieben.“ Liebe, sagt sie, sei ein harter Weg. Er bedeutet auch: „Liebe mich, auch wenn ich furchtbar bin.“
Vater Paul sagt heute: „Ich glaube wieder an meine Tochter.“ Und er erzählt eine rührende Geschichte. Er käme nicht so oft in die Kirche, aber als damals Patricia ins Therapiekrankenhaus aufgebrochen ist, habe er ihr ein Ketterl mit einem Engel mitgegeben. Sie trägt den Engel, wenn er und Lucia sie besuchen. All die Ohnmacht, die Hoffnung, das Versagen, die Ängste. Ein Engel möge auf Patricia schauen.
Lucia und Paul wissen – Patricia weiß es auch –: Es wird lange dauern. Eine schwere Drogenabhängigkeit geht nicht einfach weg. Es war ein Pflichtverteidiger, der damals Paul angerufen und ihm gesagt hat: „Ich glaube, Ihre Tochter ist nicht verloren.“ Er hätte es nicht tun müssen. Aber Paul hat dadurch wieder Hoffnung geschöpft.
Die Kinder haben immer zusammengehalten. Besonders der Jüngste, der seine Schwester immer bedingungslos geliebt hat, stand zu ihr. Für Lucia ist das der Schlüssel, wie Eltern eine solche Situation schaffen können.
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