Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
Jüngst habe ich den Kopf geschüttelt: Ein erst 2003 gegründeter Orden baut in den Rocky Mountains (USA) ein Kloster im Stil der französischen Gotik. Sagt das für Sie etwas über Tendenzen in der katholischen Kirche aus?
Thomas Schmidinger: Ja, aber vor allem über jene in der US-amerikanischen katholischen Kirche. Europa und die USA unterscheiden sich diesbezüglich. Das von mir hier recherchierte Spektrum des katholischen Traditionalismus ist in den USA sehr viel stärker verankert. Dort kann man sehr einfach immer wieder etwas Neues gründen. In Europa ist die Strategie dieser Gruppen, die bestehende Kirche sukzessive zu übernehmen. Sie rechnen vor dem Hintergrund des Säkularismus mit einem Niedergang der Mainstream-Kirche, die für sie dann „sturmreif“ ist.
Aber wie groß ist der Unterschied zwischen den USA und Europa noch? In Deutschland scheiterte heuer die Kandidatur einer Juristin für das Bundesverfassungsgericht an einer teilweise perfiden Kampagne um das Thema Schwangerschaftsabbruch. Teile der katholischen Kirche hatten sich daran beteiligt.
Schmidinger: Ja, es gibt Tendenzen in diese Richtung, nur ist man bei uns noch nicht so weit. Das liegt auch an den Widerständen gegen diese Entwicklung. Aber auch bei uns gibt es sehr gut organisierte und finanziell gut aufgestellte fundamentalistische Organisationen. Das beschränkt sich aber nicht auf Teile des katholischen Konservativismus und Traditionalismus, sondern betrifft auch evangelikale Gruppen, die teilweise aus den USA finanziert und politisch unterstützt werden. Ihre Themen sind der Schwangerschaftsabbruch oder der Umgang mit Homosexualität. In diesen Bereichen wollen sie eine Hegemonie erreichen. Sie sind zwar weit von politischen Mehrheiten entfernt, aber finanziell potent und engagiert in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Langfristig ist das eine Gefahr für den gesellschaftlichen Liberalismus in Europa.
Und vermutlich für die katholische Kirche ...
Schmidinger: Ja, wobei ein Unterschied zwischen den USA und Europa ist, dass die Kirchen bei uns alte, gewachsene Strukturen haben und Religionsgemeinschaften in Österreich durch die staatliche Anerkennung eine privilegierte Stellung genießen, die es in den USA so nicht gibt. Das bedeutet auch: Wären die traditionalistisch-fundamentalistischen Gruppen in Österreich erfolgreich bei einer „Übernahme“ der Kirche, würden sie viel gewinnen.
Sie haben 2023 ein Buch über katholischen Traditionalismus und Extremismus veröffentlicht. Was ist der Unterschied?
Schmidinger: „Extremist“ ist eine Fremdbezeichnung: Kaum jemand nennt sich selbst einen Extremisten. Traditionalismus ist auch eine Selbstbezeichnung. Da gehören sehr unterschiedliche Gruppen dazu. Es gibt den Traditionalismus in der katholischen Kirche: Das wäre beispielsweise die Petrusbruderschaft. Es gibt ihn am Rande der Kirche: Das trifft auf die Piusbruderschaft zu. Und in verschiedenen sedisvakantistischen Gruppen gibt es diesen Traditionalismus auch außerhalb der Kirche.
Die deutsche Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat heuer den Kirchen ausgerichtet, sie sollen sich mehr um Sinnstiftung und Seelenbegleitung kümmern und weniger in die Politik einmischen. Wie bewerten Sie das?
Schmidinger: Problematisch ist es, wenn Religionsgemeinschaften versuchen, politische Strukturen zu übernehmen und zu beeinflussen, um die eigene Lehre für den gesellschaftlichen Maßstab zu erklären. Dass aber religiöse Menschen aus ihrer Grundhaltung heraus politische Positionen ableiten, ist logisch und völlig legitim. Wobei die abgeleiteten Positionen sich auch sehr unterscheiden können.
Klöckners Kritik geht vermutlich stark in die Richtung, die Kirche dürfe keine NGO (Nichtregierungsorganisation) werden.
Schmidinger: Das vermute ich auch. Religionsgemeinschaften sind tatsächlich keine NGOs. Aber sie haben Vorfeld- und Umfeldorganisationen, die eine Ähnlichkeit zu NGOs haben. Im Falle der katholischen Kirche sind das zum Beispiel die Caritas, die Katholische Frauenbewegung oder die Katholische Jugend. Aber hier gibt es einen besseren Begriff als NGO, nämlich „Faith-based organization“ (Organisation, deren Wirken auf einer Glaubensüberzeugung gründet, Anm.).
Einer der Befunde der heuer veröffentlichten Studie „Was glaubt Österreich?“ heuer ist, dass junge Menschen wieder religiöser werden. Manche Theologen hinterfragen die Motive dahinter kritisch. Zurecht?
Schmidinger: Zur Studie kann ich wenig sagen, da ich in diesem Feld nicht selbst geforscht habe. Mir fällt jedoch auf, dass Religionen zu Identitätsmarkern werden: nicht nur bei Muslimen, sondern auch bei Christen. Gruppierungen, die wenig mit Spiritualität oder Glauben zu tun haben, tragen ein Kulturchristentum vor sich her. Das ist nicht das, was ich unter Religion verstehe, sondern ein identitärer Zugang. Dass Religion im Sinne tatsächlicher religiöser Praxis in Gemeinschaft mehr wird, kann ich mir kaum vorstellen.
Unser Gespräch zusammenfassend lautet die zentrale Frage zur Zukunft der Kirche also: Wie plural wird die Kirche sein?
Schmidinger: Definitiv! Und die Frage ist umso dringlicher, je kleiner eine Religionsgemeinschaft wird. Die traditionalistischen und auch konservativen Gruppierungen, mit denen ich mich beschäftigt habe, wollen keinen Pluralismus. Eines der Probleme der Liberalen in der Kirche ist, dass sie einen Pluralismus wollen, der auch die Konservativen umfasst. Umgekehrt wollen das die konservativ-traditionalistischen Gruppen, mit denen ich mich beschäftigt habe, nicht.
Kamingespräch „Katholische Kirche zwischen Extremismus und Weite“,
6. 11., 19 Uhr, Dominikanerhaus Steyr, Kartenvorverkauf: € 9,–
Der Politikwissenschaftler unterrichtet an der Universität Wien, der Fachhochschule Oberösterreich und der University of Kurdistan Hewlêr. 2023 veröffentlichte er das Buch „‚Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist‘. Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich.“
Über das Thema dieses Buches spricht Schmidinger am 21. 11. ab 19 Uhr im Bildungshaus Schloss Puchberg. Kursbeitrag: € 19,–.
Zum Foto: Katholischer Traditionalismus ist zurück im Vatikan: Am 25. Oktober 2025 feierte US-Kardinal Leo Burke am Kathedra-Altar des Petersdoms ein Messe nach dem Tridentinischen Ritus – erstmals nach mehreren Jahren wieder an diesem Ort und offenbar mit Erlaubnis von Papst Leo XIV. Dessen Vorgänger Franziskus hatte die Feier des „alten“ Ritus zuletzt sehr stark eingeschränkt.

Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
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