REZEPT_
Jahrelang haben unsere Eltern uns die Welt erklärt, uns unterstützt und umsorgt. Wenn sie älter werden, kommt irgendwann der Punkt, an dem sich die Rollen vertauschen und sie unsere Fürsorge brauchen. Plötzlich merken wir, dass sie doch nicht unsterblich sind, wir wir als Kinder immer dachten.
Warum verdrängen wir den Gedanken an den Tod unserer Eltern so vehement? „Wer will schon gerne am Grab seiner Eltern stehen“, sagt Josef Lugmayr, Leiter der Beratungseinrichtung beziehungleben.at. „Die Auseinandersetzung damit, dass es einmal so weit sein wird, vielleicht schon in absehbarer Zeit, fällt uns oft nicht leicht.“
Verdrängung sei allerdings keine Lösung, sagt der Ehe- und Familienberater: „Mit den Eltern oder den Geschwistern darüber zu reden, auch wenn es oft ein Tabu ist, kann hilfreich sein. Sich gegenseitig zu verstehen, auch in der Angst davor, wirkt oft Wunder.“
Der Zeitraum zwischen dem Kindsein und selbst Eltern werden dauert heute länger als früher, beobachten Psycholog/innen und Soziolog/-innen. Sie nennen das „Emerging Adulthood“, etwa „ausgedehntes Erwachsenwerden“.
Verschiedene Faktoren führen zu diesem Phänomen, sagt Lugmayr: „Wir wissen von jungen Menschen, dass sie sich durch lange Ausbildungen, fitte Eltern, das allgemein höhere Lebensalter und andere Dinge länger nicht abnabeln und erst später ganz eigenständig sind.“
Das kann auch ein Grund dafür sein, dass uns das Altern der Eltern so trifft, weil wir sie vom Gefühl her noch stärker brauchen als umgekehrt.
Lugmayr gibt auch zu bedenken, dass alte und unter Umständen gebrechliche Eltern viel Aufmerksamkeit, Zeit und Pflege brauchen: „Das durchkreuzt oft die Lebenspläne der Kinder, die selbst mit Familie und Beruf sehr beschäftigt sind. Und es bedeutet nicht selten auch eine Einschränkung meiner Freiheit, weil ich mich kümmern muss und oft ohnehin selbst am Anschlag bin.“
Manchmal müsse man dann die eigene Berufstätigkeit zurückschrauben, um genug Zeit für die Eltern zu haben, oder sich etwa für ein Pflegeheim entscheiden. Umgekehrt wollen die Eltern so lange wie möglich sebstständig bleiben, niemandem zur Last fallen und alles alleine schaffen, sagt Lugmayr: „Sich selbst einzugestehen, dass einem manches schon zu viel ist, ist ein schwieriger innerer Prozess. Dass man dann die Hilfe der Kinder in Anspruch nimmt, ist noch einmal ein zweiter, oft auch sehr schwieriger Schritt.“
Ein Patentrezept, um sich auf das vorzubereiten, was unweigerlich kommt, gibt es zwar nicht. Lugmayr hat dennoch einen Vorschlag, wie wir mit dem Älterwerden und der Begrenztheit der eigenen Kräfte, Intelligenz, Gesundheit umgehen können: „Die eigenen Grenzen zu akzeptieren ist ein lebenslanger Prozess. Je früher man damit beginnt, nicht einfach wegzuschauen, wenn man einmal ansteht, desto besser wird man das auch bei anderen akzeptieren können, und desto verständnisvoller geht man auch mit den Grenzen, der Endlichkeit der anderen um.“
Aus den Angst- und Verlustgefühlen Kraft zu schöpfen, hält Lugmayr für eine überzogene Erwartung, da der Umgang mit Ängsten ebenso Energie und Kraft braucht. Aber „gut und liebevoll mit sich selbst umzugehen, Dinge zu tun, die einem Kraft geben, das Unausweichliche auszuhalten, ist eine Strategie, auch mit den Ängsten fertig zu werden.“
Gedanken wie „wir sehen uns einst wieder“ und die Erkenntnis, dass vieles von unseren Eltern in uns weiterlebt, sei zumindest für ihn auch schon ein Trost.
Der Familienseelsorger betont außerdem, dass Reden vieles einfacher mache: „Wir dürfen uns auch eingestehen, dass diese Ängste da sind, dass sie uns manchmal sehr unter Druck bringen. Im Reden darüber wird es vielfach leichter, wenn ich merke, dass es etwa meinen Geschwistern ähnlich geht und ich von ihnen höre, wie sie damit umgehen.“«
REZEPT_
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>