Wort zum Sonntag
Was war der Anlass, den Solidaritätspreis ins Leben zu rufen?
Ernst Gansinger: Das war das 50-Jahr-Jubiläum der Kirchenzeitung – als äußerer Anlass. Wir haben den Preis 1994 ausgeschrieben und im Jubiläumsjahr 1995 das erste Mal verliehen. Es gab aber auch einen inneren Anlass: Wir Kirchenzeitungsredakteure und -redakteurinnen hatten den Eindruck, dass die Ich-Mentalität zunimmt und die Gesellschaft härter, gnadenloser wird. Diesem gesellschaftlichen Trend gegenüber wollten wir aufzeigen, dass es auch andere Werte gibt. Und dass es Menschen gibt, die sie hochhalten. Bischof Maximilian Aichern hat das Anliegen zum zehnjährigen Bestehen des Preises so auf den Punkt gebracht: „Solidarität zu fördern ist gerade heute eine dringende Aufgabe von Kirche und Gesellschaft.“ Aus meiner Sicht ist das unverändert aktuell.
Die Preisverleihungen waren immer große Feste ...
Gansinger: Ja, zumeist mit deutlich über 250 Gästen im Steinernen Saal des Landhauses in Linz. Mit dem besonderen Ort und der sorgfältigen Gestaltung der Verleihungsfeiern wollten wir den Preisträgerinnen und Preisträgern zeigen, dass ihr Einsatz gesehen wird und sie sich nicht allein abstrampeln. Für viele waren die Feste der Preisverleihung wirklich eine Stärkung und ich habe nicht selten Preisträger weinen sehen. Denn im Alltag hatten sie oft das Gefühl, Einzelkämpfer zu sein.
Welche Werte wollten Sie mit dem Solidaritätspreis im Besonderen stärken?
Gansinger: Wir haben uns an der Europäischen Ökumenischen Versammlung orientiert, die den heutigen Weg der christlichen Kirchen mit den Begriffen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung beschrieben hat. Dabei haben wir uns nicht auf das kirchliche Engagement beschränkt, sondern auf alle Menschen hin erweitert, die sich für andere einsetzen.
Was waren für Sie besondere Projekte?
Gansinger: Es gibt und gab viele. Ich denke zum Beispiel an Gruppen, in denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam etwas unternehmen – da gibt es eine Reihe von Initiativen. Aber auch politische Themen waren uns wichtig wie zum Beispiel die Südböhmischen Mütter gegen Atomgefahr. Solidarität heißt für mich Brücken bauen. Darum ist jede Gruppe, ist jede einzelne Person, die anderen die Hände reicht, gleich wichtig und wertvoll.
Ausschreibung und Verleihung des Preises machten sich, solange er in der Verantwortung der Kirchenzeitung war, an zwei Gedenktagen fest.
Gansinger: Am 15. Mai und am 26. Oktober. Am 15. Mai 1891 hat Papst Leo XIII. das Schreiben „Rerum novarum“ veröffentlicht, die erste Sozialenzyklika der katholischen Kirche. Am 15. Mai 1990 wurde auch der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe veröffentlicht. Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat das Gesetz zur Neutralität. Diese Klammer ist mir wichtig.
Der Solidaritätspreis hat in den dreißig Jahren seines Bestehens einmal eine schwere Krise durchgemacht: Ein Preis wurde zurückgezogen ...
Gansinger: Wir sprechen vom Jahr 1999: Die Jury wollte die Homosexuellen-Initiative Hosi auszeichnen, die sich in der Gesellschaft um Verständnis homosexuellen Menschen gegenüber eingesetzt hat und es immer noch tut. Die Preisträger waren informiert, Herausgeber und Chefredakteur der Kirchenzeitung zogen im Einvernehmen mit dem Juryvorsitzenden nach einer Protestwelle die Nominierung aber zurück. Es war eine verworrene Situation. Über diesem Fest, zu dem viele Menschen kamen, lag ein Schatten. Solidarität hat mit Toleranz zu tun. Sie sind ein Geschwisterpaar.
Fünfundzwanzig Jahre später erhält der Regenbogen-Seelsorger Franz Harant für seinen Einsatz für Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen den Solidaritätspreis. Ein Genugtuung?
Gansinger: Nein, aber es zeigt, dass in der Kirche in diesem Bereich viel weitergegangen ist. Übrigens haben wir bald nach den Hosi-Turbulenzen Maria Hauser ausgezeichnet, die Mutter eines homosexuellen Sohnes war und sich auch literarisch für Respekt vor der Lebensweise homosexueller Menschen eingesetzt hat. Ihr Buch „Im Himmel kein Platz“ ist berührend und hat weite Kreise gezogen.
Die Frage, was Sie von der Einstellung des Solidaritätspreises durch die Diözese halten, kann ich mir vermutlich sparen.
Gansinger: Wenn Bischof Aichern und wir als Kirchenzeitungsteam recht gehabt haben, dann ist die Feier der Solidarität eine vornehme Aufgabe der Kirche. Darum ist es schade, dass sich die Kirche – im Zuge des diözesanen Sparprozesses – zurückzieht und den Solidaritätspreis einstellt. Natürlich hat die Diözese recht, wenn sie darauf hinweist, dass es in Oberösterreich eine Flut von Preisen gibt – auch im Bereich der Solidarität. Aber der Kirche stünde ein Solidaritätspreis dennoch gut an. Mir persönlich tut das Ende von dreißig Jahre Soli-Preis, wie es sich als seine gängige Bezeichnung eingebürgert hat, sehr leid.
Was soll oder kann man dennoch tun?
Gansinger: Ich wünsche mir, dass die Kirchenzeitung in ihrer Berichterstattung das Thema Solidarität hochhält. Denn Solidarität ist Balsam auf die Wunden von Menschen, geschlagen von einer Ellbogengesellschaft.
Der Solidaritätspreis wurde am 11. November 2024 zum 30. und letzten Mal verliehen. Erstmals ausgeschrieben hatte ihn die Kirchenzeitung der Diözese Linz im Jahr 1994.
Ziel war es von Beginn an, „Personen und Gruppen zu ehren, die sich durch besonders richtungsweisendes solidarisches Handeln auszeichnen“, wie der Initiator des Preises, der langjährige Kirchenzeitungsredakteur Ernst Gansinger, betont.
In den drei Jahrzehnten des Bestehens des Preises wurden an die 270 Personen und Gruppen ausgezeichnet. Die Preisträger:innen wurden aus rund 1.000 vorgeschlagenen Projekten ausgewählt. Insgesamt gingen an die 6.000 Einreichungen an die Jury. Bis zum Jahr 2021 lagen Ausschreibung und Organisation bei der Kirchenzeitung, unterstützt von der Diözese Linz, dem Sozialressort des Landes Oberösterreich und dem jeweiligen Landeshauptmann.
Von 2022 bis 2024 wurde der Preis im Namen der gesamten Diözese Linz vergeben. Das Preisgeld beträgt 15.000 Euro und wird unter den Preisträger:innen aufgeteilt.
Alle Infos zum Solidaritätspreis: www.solipreis.at
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