Wort zum Sonntag
„Ich komme, aber es wird ein wenig dauern“, sagt P. Amand Kraml am Telefon dem Besucher, der vor dem Tor steht. Er arbeitet gerade im dritten oder vierten Stock des um 1750 erbauten siebenstöckigen Hochhauses, das „Sternwarte“ genannt wird.
Lift gibt es keinen, dafür aber ein beeindruckendes Treppenhaus. Stockwerk für Stockwerk eröffnet sich in Schauräumen eine faszinierende Welt, die jeweils einen Aspekt der Naturwissenschaft zum Thema hat. Die Bezeichnung Sternwarte ist daher irreführend. Die astronomischen Geräte sind lediglich in der sechsten Etage untergebracht, geben aber dem gesamten 49 Meter hohen Gebäude seinen Namen.
Die Sternwarte des Stifts Kremsmünster ist eigentlich ein „Universalmuseum“. In dem Rokoko-Gebäude sollten die jungen Adeligen, die in der von Maria Theresia in Kremsmünster eingeführten Ritterakademie studierten, die gesamte Welt des damaligen Wissens kennenlernen können. Das beginnt im ersten Stock mit einer geologischen, paläontologischen und prähistorischen Sammlung, weiters gibt es ein mineralogisches und physikalisches Kabinett und natürlich auch eine astronomische Sammlung – um nur einiges aus dem reichen Fundus anzusprechen, der in der Sternwarte ausgestellt ist. P. Amand Kraml ist als Direktor der Herr über dieses beeindruckende Universum.
„Als Direktor ist man einmal in besonderer Weise Wissenschaftshistoriker“, erklärt er seine Aufgabe. Aber Historie bedeutet nicht tote Vergangenheit. Was in Kremsmünster wissenschaftlich interessierte Ordensleute im Laufe der vergangenen Jahrhunderte gesammelt, aufgezeichnet oder erarbeitet haben, wird nach wie vor zum Ausgangspunkt aktueller Forschungen.
So sind die Geräte des astronomischen Kabinetts im Wesentlichen Museumsstücke, aber im Archiv befinden sich hochinteressante Aufzeichnungen, erzählt P. Amand. Er ist derzeit mit einem japanischen Wissenschafter in Kontakt, der zu Sonnenflecken forscht und dabei auf einzigartige historische Daten aus Kremsmünster zurückgreifen kann.
Hervorragende Daten bietet auch die meteorologische Station – bis heute Tag für Tag.
Beim „Wetterkammerl“ im ersten Stock macht P. Amand gleich einmal mit seinem Besucher Halt. „Kremsmünster kann als einzige Wetterstation, die nie durch einen Standortwechsel unterbrochen worden ist, eine Messreihe über 230 Jahre vorweisen“, erklärt P. Amand. In einem Regal ist das technische Equipment untergebracht, mit dessen Hilfe die Messwerte gesammelt und weitergeleitet werden.
Für einen naturwissenschaftlichen Laien sind aber die Grafiken interessanter, die P. Amand erstellt hat. Eine davon zeigt, wie sich in Kremsmünster die jährliche Durchschnittstemperatur seit Messbeginn verändert hat. Beträgt die Gesamt-Mitteltemperatur ab 1796 8,5 Grad Celsius, waren für 2023 11,6 Grad zu verzeichnen.
Dass seit etwa 1960 die Temperaturkurve enorm nach oben wandert, ist auf einer weiteren Grafik zu sehen. Für P. Amand ist völlig klar, dass das menschengemacht ist: „Ich glaube, wir sind am Limit. Die Menschheit ist bedroht und in manchen Regionen der Erde leiden die Menschen schon enorm wegen des Klimawandels.“ Ob die Menschheit fähig ist, sich zu ändern, bezweifelt der Benediktinermönch: „Wir sind in allem sehr träge. Ich befürchte, dass uns die Natur zwingen muss.“
P. Amand steigt weiter die Stufen hinauf. Im vierten Stock befindet sich das zoologische und botanische Kabinett. Als Direktor der Sternwarte ist er ein Universalist, aber die Botanik ist seine wissenschaftliche Heimat.
Im Jahr 1978 begann er in Wien mit dem Studium: zuerst Biologie und Umweltkunde, schließlich Biologie mit Hauptfach Botanik und Nebenfach Zoologie. P. Amands Dissertation und Leidenschaft wurde die Mitarbeit an der mitteleuropäischen Florenkartierung. Dabei geht es um die Erfassung des Vorkommens von Farnen und Blütenpflanzen. Er erforschte das Gebiet um Kremsmünster und beobachtet es weiterhin. Mindestens 1000 Kilometer ist er für seine Dissertation zu Fuß gegangen. Mit seinem Institut in Wien hält er bis heute Kontakt.
Da er aber nicht an der Universität angestellt ist, bezeichnet er sich als Amateur. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Liebhaber. Er liebt die Botanik und leistet nach wie vor seinen Beitrag zur Florenkartierung. Doch das Alter macht ihm dabei in letzter Zeit zu schaffen, erzählt der 71-Jährige. Um die Pflanzen genau sehen zu können, muss man sich niederknien, zum Fotografieren sich sogar vor ihnen auf den Bauch legen: „Das Aufkommen fällt mir immer schwerer“, sagt er schmunzelnd.
Im obersten, im 7. Stock der Sternwarte befindet sich ein Kapellenzimmer. Dass der Glaube alle Erkenntnisse der Naturwissenschaft überragt, war in der Barockzeit eine Selbstverständlichkeit – heute schon längst nicht mehr. Ob sich auch beim Direktor der Sternwarte Glaube und Naturwissenschaft reiben? „Wenn sich etwas spießt, dann ist es wegen unseres schmalen Horizonts. Je persönlicher und größer wir Gott denken, desto weniger Probleme haben wir.“ Und er wiederholt: „Gott muss man groß denken.“
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