Wort zum Sonntag
Ostern ist das Fest der Auferstehung. Doch ohne Tod keine Auferstehung. Wir tragen den Tod in uns wie eine Frucht den Kern, formulierte es Rainer Maria Rilke.
Christa Steiner, Sie haben viele Menschen durch den letzten Lebensabschnitt in dieser Welt begleitet. Jedes Sterben ist einzigartig, und doch gibt es verbindende Erfahrungen. Wie ist es, wenn man den Tod knapp vor Augen hat?
Christa Steiner: Der Gedanke an den Tod löst zunächst Angst und Verzweiflung aus. Wenn Menschen ihn aber nicht verdrängen, sondern den Weg dorthin ernsthaft gehen, dann richtet sich ihr Blick weg vom Sterben auf ihr gelebtes Leben. Was habe ich gelebt oder nicht gelebt? Was hat mich getragen? Welchen Sinn hatte und hat mein Leben? Was will ich weitergeben? Als Seelsorgerin kann ich nur Vertrauen geben in diesem Prozess. Durch mein Dabeisein kann ich signalisieren, dass es zu schaffen ist. Es geht alles gut aus, das kann ich als mein Glaubensbekenntnis einbringen.
Wie sieht das Dabeisein aus?
Steiner: Meistens kenne ich die Menschen vorher nicht, auch sie kennen mich nicht. Da gibt es ein riesengroßes Vorschuss-Vertrauen. Wenn ich zu der Person hingehe, entsteht ein Raum. Der Mensch selbst ist es dann, der den Takt, die Regeln und Themen vorgibt. Wenn ich Menschen zuhause begleitet habe, gab es viele Anknüpfungspunkte aus ihrer Lebenswelt, nach denen ich fragen konnte. Und sonst hilft einfach die Frage: „Wie geht es Ihnen heute?“
Ist es leichter für Sie als Seelsorgerin als für einen Priester, den viele Menschen in unserer Kultur wie einen Todesengel mit der „Letzten Ölung“ verbinden?
Steiner: Die theologische Deutung der Krankensalbung hat sich zwar grundlegend geändert, aber das wissen viele Menschen tatsächlich nicht. Es kann sein, dass sich Menschen mir als Frau und Laiin leichter öffnen. Andere wiederum wünschen sich „einen Pfarrer“. Oder sie wollen anfangs einen Pfarrer, ich sage ihnen, was ich anbieten kann – dazusein, ein Gebet zu sprechen, einen Sterbesegen zu feiern … – und sie entscheiden sich dann.
Tragen Sie im Kontakt mit den Sterbenden Zeichen, die sie als Seelsorgerin erkennbar machen?
Steiner: Das ist unterschiedlich. In der mobilen Palliativpflege sind alle in Zivil, auch das ärztliche und Pflegepersonal. Im städtischen Pflegeheim, in dem ich arbeitete, hatte ich einen weißen Mantel mit einem Kreuz an. Er war das Zeichen, dass ich zum Team gehöre.
Menschen werden mit einem unglaublichen Lebenswillen geboren, den sie kaum verlieren. Dennoch gibt es, besonders bei kranken und alten Menschen, auch so etwas wie eine Sehnsucht nach dem Tod. Wie passt das zusammen?
Steiner: Das ist ein schwieriger, aber gesunder Widerstreit. Eine Frau konnte zum Beispiel an einem Tag genug haben vom Leben und sagen, sie möchte nur mehr sterben. Am nächsten Tag war vielleicht ihre Freundin zu Besuch, mit der sie ein Schmalzbrot aß und kicherte wie eine Fünfzehnjährige. Es gibt eben beide Richtungen.
Seit heuer ist es in Österreich nicht mehr verboten, einem Menschen zu helfen, sich das Leben zu nehmen. Was sagt Ihre Erfahrung dazu?
Steiner: Das Thema ist immer wieder aufgekommen, auch vor der großen Diskussion darüber. Salopp wurde gesagt: „Schade – jedes Tier kann man erlösen, warum geht das beim Menschen nicht?“ Besonders bei sehr lange bettlägrigen und sehr alten Menschen, die nichts mehr vom Leben erwarteten, hörte ich die Frage. Es könnte sie erleichtern zu wissen, dass sie diese Möglichkeit hätten. Dann werden sie bei guter medizinischer und sozialer Begleitung die Möglichkeit vielleicht gar nicht wahrnehmen wollen.
Fragen Sterbende, was nach dem Tod kommt?
Steiner: Menschen, die ihr Leben lang ohne Glauben ausgekommen sind, werden im Normalfall nicht kurz vor dem Tod gläubig. Und solche, die sich ihr Leben lang mit dem Glauben beschäftigt haben, werden es auch angesichts des Todes tun. Manchen kommen auch Zweifel, wenn der Prozess zu lange dauert. „Warum holt mich der liebe Gott nicht? Hat er mich nicht lieb?“ Alte Bilder kommen zum Vorschein. Ältere Menschen sind oft noch mit Angst erzogen worden. Wenn Sie an das bekannte Kinderzimmerbild denken, auf dem zwei Kinder über eine Brücke gehen und den Schutzengel im Rücken haben: Da ist es ein Unterschied, ob die Angst im Mittelpunkt stand, hinunterzufallen, oder ob das Vertrauen stark war. Besonders bei dementen Menschen kommen frühe Prägungen durch.
Was sagen Sie Menschen, die sehr unsicher sind?
Steiner: Was ihnen Halt gibt, stärke ich. Es hat keinen Sinn, theoretische Dinge von mir zu geben. In dem, wie ich auf die Menschen zugehe, zeigt sich, was ich glaube. Auch in der Wahl der Gebete und Texte vermittle ich ja ein Bild von Gott. Wie es nach dem Sterben weitergeht? Wir alle sind da Fragende, Suchende, hoffentlich Glaubende. So dazusein, stärkt.
Und wie macht man das „Da Sein“ richtig?
Steiner: Die Gefahr besteht, dass Angehörige , aber auch professionell Begleitende immer etwas tun wollen, bis zum Schluss! Wir wollen es in der Hand haben. Das ist gut und schön, aber es ist nicht alles. Wir müssen die Menschen ihren Weg gehen lassen. Wir müssen sie auch in Ruhe lassen. Und doch da sein, wenn es notwendig ist. Sehr genau hinschauen. Und noch einmal hinschauen. Auch mitten im Leben genießen es Menschen übrigens, wenn wir manchmal ganz genau hinschauen, auf ihre Bedürfnisse schauen. Der Alltag widerspricht dem leider oft.
Am Anfang der Corona-Pandemie gab es Vorsichtsmaßnahmen und Besuchsverbote, die manches „Da Sein“ bei Sterbenden verhindert haben. Wie kann diese offene Wunde heilen?
Steiner: Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Man kann sich aber auf die gemeinsamen Jahre vorher konzentrieren. Auf das Vertrauen, das da gewachsen ist. Die Beziehung, die es gab. Und teilweise übernahm in dieser Zeit auch das medizinische Personal die Rolle, für die Sterbenden greifbar zu sein über das rein medizinisch oder pflegerisch Notwendige hinaus. Auch das kann ein Trost sein: Der Mensch war nicht ganz alleine, da war noch jemand. Das heilt nicht jede Wunde, aber es kann dabei helfen, sich mit diesem Schicksal zu versöhnen.
Die Schicksale der Menschen in der Ukraine bewegen gerade viele in Europa. Junge Menschen sterben, oder ihre Pläne und Träume sterben. Wie geht man mit so viel Leid um?
Steiner: Dafür gibt es keine Bedienungsanleitung. Ich beobachte, dass es Menschen auf das Wesentliche zurückwirft. Im Letzten geht es darum, das Leben zu retten (und noch das von Hund und Katze). Vieles muss zurückbleiben. Vieles ist ersetzbar, nicht aber Menschen. Menschen gewinnen auch wieder Kraft, neu anzufangen und aufzubauen. Aber wir sehen deutlich: Das Leben selbst ist das Erste und Wichtigste, das Größte und Heiligste.
Sternenkindeltern bleiben oft einsam. Das muss nicht sein. Ein Online-Angebot bietet Hilfe.
Nach einer stillen Geburt fallen Sternenkindeltern oft in eine Zeit des Schweigens, schildern Vera und Rainer Juriatti aus ihrer beruflichen und persönlichen Erfahrung. Dagegen haben sie eine Online-Plattform gegründet, die Betroffene nicht allein lässt. Sie sind selbst fünffache Sternenkindeltern, Sternenkindautor/innen und ehrenamtlich als Sternenkindfotografierende tätig.
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Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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