Wort zum Sonntag
Dass die Bitte um Vergebung der Schuld so häufig in unseren Gottesdiensten zu hören ist, lässt eigentlich nur den Schluss zu: Entweder glauben wir nicht an die Güte Gottes oder halten uns für so schlecht, dass dies zum einzigen Thema unserer Gottesbeziehung wird.
Matthäus, mit dem wir das Vaterunser beten, liest aber: „Wie auch wir vergeben haben“, und das dreht die Sache gänzlich um. Erst unsere Vergebung lässt uns etwas von Gottes Barmherzigkeit erfahren: Sie ist ihm nicht abzubetteln, sie ist sein Wesen, das Bibel (und Koran) als die „Mutterschöße“ (rachamím) beschreiben.
Wir dürfen unsere Ängste zur göttlichen Schuld- und Gnadenbuchhaltung entsorgen. Sie sind mit dem Gottesbild Jesu nicht vereinbar.
Unsere Vergebung ist gefragt. Sie ist die einzige Reaktion, die der Güte Gottes angemessen ist, je nach den Umständen nicht nur mühsam, aber immer auch eine spürbare Erlösung und Befreiung, wenn es uns gelingt, andere nicht mehr verbittert als Sündenböcke vor uns her zu treiben, ihnen nicht mehr ständig ihre wirkliche oder vermeintliche Schuld nach-zutragen, sondern Kränkungen und Beschuldigungen einfach auszulassen, um das eigene Leben in die Hand zu nehmen, autonom und dankbar zu leben.
Dass uns dies oft so schwerfällt, hat damit zu tun, dass wir uns unrealistische Vorstellungen machen. Wir können Fehlentscheidungen oder Versäumnisse nicht ungeschehen machen (wie Ehe-Annullierung oder Beicht-Absolutionen bisweilen glauben machen wollen), aber wir können und müssen unseren Seelenmüll immer wieder ausscheiden, loslassen, sonst vergiftet er uns, macht uns krank. Die Bibel braucht dafür das griechische Allerweltswort aph-iénai, womit übrigens auch die Scheidung als formelles „Weg-Schicken“ aus einer Ehe beschrieben wird. Denn erst ein verbindliches Loslassen kann neue Verhältnisse schaffen.
Lukas 11,4 liest: „Und vergib uns unsere Sünden“, aber sein Nachsatz: „wie auch wir jedem uns Schuldenden vergeben“ zeigt, dass auch ihm ursprünglich die Schuldenbitte vorlag. Sie verweist auf den ökonomischen Bereich als strukturelle Sünde schlechthin. Auch die haben wir zu bereinigen, wenn es wirklich Frieden auf Erden geben soll.
Womit wir jedenfalls immer beginnen können und müssen: Gütiger werden, Feindbilder und Kränkungen abarbeiten, vergeben. Denn es geht immer etwas daneben, wo Menschen handeln oder auch nicht handeln.
Im Anschluss an das Vaterunser redet die Bergpredigt nicht mehr von Schulden (oder Sünden), sondern einfach von „Abfall“, wörtlich von dem, was „danebenfällt“ (paraptōmata).
Gott selbst macht es uns vor: Er „rechnet nicht“ in diesen Kategorien, seine „Logik“ (logízesthai: 2. Korintherbrief 5,19) ist eine völlig andere. Göttliche Liebe schließt auch die Feinde ein (Matthäus 5,44f). Und wir haben noch so viele?
Der Bibelwissenschaftler Peter Trummer hat mehrere Bücher über Jesus geschrieben. 2024 erschien „Mit Jesus am Puls der Zeit“ im Verlag Herder.
Peter Trummer lehrte neutestamentliche Bibelwissenschaft in Graz.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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