Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind …“ – oder auch nicht: In der Krippe beim „Hellbrunner Adventzauber“ stapeln sich auf Heu und auf Stroh die roten Glitzerpakete, das Innsbrucker Stadtmagazin „6020“ verzichtete im Dezember 2024 tunlichst auf jeden Krippenhinweis. Wer braucht schon ein Christkind zu Weihnachten? Niemand. Aber „christliche Kultur“, die braucht es dringend gegen all jene, die das „Abendland“ oder „den Westen“ in Frage stellen.
Zuletzt forderte Gideon Böss in der deutschen Zeitung „Welt“ (18. November 2025) eine Rückkehr zum „Kulturchristentum“, um die „westlichen Werte“ zu retten. Dafür müsse man auch nicht Christ:in werden oder gar zur Kirche gehören: „[…] ich kann all die Millionen Menschen beruhigen, die längst aus der Kirche ausgetreten sind: Da muss niemand wieder rein, der schon raus ist. Christlich werden bezieht sich auf die Selbstbezeichnung als Kulturchrist.“ Es folgt ein Rundumschlag gegen „den Islam“ und „die Linke“. Also „christliche“ Kultur ohne Kirche? Krippe ohne Christus, aber mit Paketen und ein paar Worten über Freiheit, Menschenrechte und alles, was „den anderen“ fehlt?
Schon seit vielen Jahren warnt der französische Religionswissenschaftler Olivier Roy vor einer „heiligen Einfalt“ in zwei Bedeutungen: Eine Kultur, die kein Gespür mehr hat für den Tiefensinn von Religion, in der die Menschen ihre Vertrautheit mit religiösem Wissen verloren haben, ist ebenso gefährlich wie eine Religion, die ihre Einbettung in Kultur und Tradition vergessen hat. Die „christliche Kultur“ ohne Christus ist genauso fundamentalistisch wie eine Kirche, die sich als reine Religion jenseits von Kultur versteht.
Gesucht ist christlicher Glaube, der in Christus verwurzelt ist und zugleich lernbereit in Beziehung zur Welt und allen, die in ihr leben. Universale Menschenwürde und Menschenrechte sind kein exklusiver Besitz von Christen und Christinnen. Kirchengeschichte ist eine Lerngeschichte, gerade mit Blick auf Religionsfreiheit, Demokratie, Menschenrechte. Christlicher Glaube ist immer schon lernend in Kultur eingebettet. „Christliche Kultur“ gibt es nicht ohne Christus. Ob das die „Verteidiger der christlichen Werte“ auch verstanden haben?

Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.

Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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