Dr. Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
Pilger-Tagebuch (15. September 2021)
„Dieser erste Pilgertag beflügelt mich total! Als ob der Weg über bewaldete Bergrücken mich mit frischen Kräften ausstattet. Weite Blicke in alle Richtungen. Tief unten Gehöfte und malerische Dörfer. Die Sorgen, die mich zu Hause noch bedrückt hatten, kommen mir von hier oben winzig und klein vor. Und ich genieße einfach den weiten Horizont, den erfrischenden Wind, einen Hauch von Freiheit!“
Ein Neuanfang entfaltet einen besonderen Zauber. Denn die Begegnung mit dem Neuen weckt eine ursprüngliche Neugier: Wir wollen die Welt und uns selbst von einer anderen Seite kennenlernen; wir sind darauf eingestimmt, uns vom Leben überraschen zu lassen; und wir geraten leichter ins Staunen, weil unser Blick noch unverbraucht ist. So ähnlich wie Kinder, die offenen Auges in die Welt schauen wie in ein Wunderland. Und denen alles so frisch und überraschend vorkommt.
Gehen wir durchs Neuland, werden wir unweigerlich aber auch in Situationen geraten, in denen wir uns ratlos und unsicher fühlen und die Orientierung verlieren. Nun ist Tapferkeit gefragt: die Fähigkeit, in mühsamen Zeiten durchzuhalten. Das Vermögen, dranzubleiben, wenn die Begeisterung abgedankt hat und es trocken oder hart wird. Etwa wenn ein Paar in der Krise an der gemeinsamen Gesprächstherapie festhält, auch wenn diese viel Kraft und Zeit kostet und der Ausgang offen ist.
Gehe ich mit einer Gruppe pilgern, dann versende ich im Vorfeld eine Packanleitung. Im Folgenden finden Sie eine Liste mit Hinweisen für die innere Ausrüstung auf Ihrem Weg durchs Neuland:
1. Rechne mit dem Unberechenbaren.
2. Folge deiner Lebensfreude. Sie weist dir die Richtung und stärkt dein Vertrauen ins Leben.
3. Schleppe keinen unnötigen Ballast mit. Lass immer mal wieder etwas von dem zurück, was dich beschwert.
4. Halte dich an die Pilgerregel, nicht die ganze Wegstrecke in den Blick zu nehmen. Denk nur an den nächsten Wegabschnitt – und auf einmal wirst du merken, dass du vorangekommen bist.
5. Gehe gemeinsam mit anderen. Suche Weggefährtinnen und -gefährten.
6. Wenn der Weg sich hinzieht, dann erinnere dich an das Ziel, dessentwillen du aufgebrochen bist.
7. Kenne deine persönlichen Quellen, aus denen du Hoffnung und Zuversicht schöpfst, und suche sie regelmäßig auf.
8. „Stehen! Sehen! Gehen!“ Diese Verkehrsregel aus Kindertagen bringt nach David Steindl-Rast auch eine spirituelle Praxis auf den Punkt: innehalten – wahrnehmen, was dieser Moment für dich bereithält – beherzt den Schritt tun, der hier und jetzt dran ist.
9. Kämpfe in dem Bewusstsein, dass du auch verlieren und scheitern kannst.
10. Und ganz schlicht, aber nicht einfach: Achte auf genügend Schlaf.
Buchtipp:
Melanie Wolfers, Andreas Knapp, Atlas der unbegangenen Wege. Eine Reise zu dir selbst. bene! Verlag 2025, 224 Seiten, € 24,70.
Dr. Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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