Wort zum Sonntag
Die grausame Kreuzigung mit einem stundenlangen Todeskampf übernahmen die Römer von den orientalischen Völkern. Sie galt als Schande: „Ein (am Pfahl) Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter“ (Dtn 21,23). Deshalb wurde sie von den Römern nur bei Sklaven und Nichtrömern angewendet: Petrus wurde gekreuzigt, Paulus als römischer Bürger enthauptet. Weil die Kreuzigung eine Schande war, verwendeten die Christen in den ersten Jahrhunderten nicht das Kreuz als Erkennungszeichen, sondern meist das Christusmonogramm, die griechischen Anfangsbuchstaben des Wortes „Christus“.
Die Situation änderte sich im Römerreich mit Kaiser Konstantin (306–337). Wie der Kirchenvater Eusebius berichtet, sollen der Kaiser und sein Heer vor der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen seinen Rivalen Maxentius über der Sonne ein Kreuz aus Licht und die Worte „In diesem Zeichen siege!“ gesehen haben. Endgültig wurde mit der Auffindung des Kreuzes Christi durch Helena, der Mutter Konstantins, die Voraussetzung für die Verehrung des Kreuzes geschaffen. Kaiser Konstantin hat im Jahre 320 die Kreuzigung abgeschafft.
Erst vor diesem Hintergrund wird die Radikalität der Worte Jesu, er würde verworfen und gekreuzigt werden, verständlich. Doch Jesus spricht von seiner „Erhöhung“ am Kreuz (Joh 3,14) und von seiner Verherrlichung in Tod und Auferstehung (Joh 17,1). Im Brief an die Hebräer wird berichtet, Jesus habe das Kreuz auf sich genommen, „ohne auf die Schande zu achten“ (Hebr 12,2).
Kreuzigung und Auferstehung Jesu waren von Anfang an die Mitte der Verkündigung. So schreibt Paulus: „Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6,14). Damit hat er den Grund dafür gelegt, dass für die Christen aus dem schändlichen Kreuz ein Ruhmeszeichen wurde. Deshalb verkündet er Christus „als den Gekreuzigten“ (1 Kor 1,23) und bekennt die Auferstehung als den Kern des Glaubens. Nur auf dieser Grundlage konnte später das Kreuz zum Erkennungszeichen der Christ/innen werden.
Ein erster Schritt dazu war die Bezeichnung der Stirn mit dem Kreuz. In der Antike war es üblich, Sklaven mit dem Eigentumszeichen ihres Herrn zu versehen. Diese Tradition führte um 200 dazu, die Stirn der Täuflinge mit dem Kreuz zu bezeichnen, um sie dadurch Christus zu übereignen. Der christliche Schriftsteller Tertullian berichtet über den Brauch der Christen, dass sie sich vor den verschiedensten Handlungen mit einem Kreuz bezeichneten. Doch von Kreuzen, die aus einem Material hergestellt wurden, ist noch lange keine Erwähnung.
Erst nach der Abschaffung der Kreuzigung wurde es möglich, das Schandmal allmählich zum Erkennungszeichen der Christen zu machen. Im 4. Jahrhundert entwickelte sich im Orient die Anfertigung von Kreuzen ohne Korpus als Zeichen der Auferstehung. Der Tur Abdin in der Südosttürkei mit seinen vielen Klöstern bietet auch heute noch einen Schatz an in Stein gemeißelten Kreuzen. Die ältesten Kreuze sind einfache Astkreuze, bei denen die Enden der Kreuzbalken in zwei „Äste“ gespalten sind. In mehreren Kirchen des Tur Abdin aus dem 6. Jahrhundert wird der Kirchenraum von einem großen Astkreuz in der Apsis geprägt.
Bald wurde das einfache Astkreuz künstlerisch ausgestaltet: Es wird von einem Kranz als Zeichen des Sieges umgeben oder von den kosmischen Symbolen Sonne und Mond flankiert, Blätter, Blumen, Weintrauben und andere Früchte zieren es oder Lämmer trinken vom Wasser, das aus seiner Mitte fließt. Einen unglaublich reichen Schatz an in Stein gemeißelten Kreuzen aus dem 12. Jahrhundert besitzt das Kloster Mar Behnam, 25 km östlich von Mosul/Irak. Sie sind als Lebensbäume mit Blättern, Blüten und Früchten künstlerisch gestaltet. Nur wenige werden den Hass des IS überstanden haben!
„In der Zeit vor dem Wirken und dem Einfluss der lateinischen Missionare diente den orientalischen Christen ein leeres Kreuz (ohne Korpus) als Symbol für die Auferstehung. Ein leeres Kreuz entspricht einem leeren Grab. Dieses Kreuz heißt das glorreiche Kreuz“, schreibt Patriarch Louis Raphael Sako. Die Synode der mit Rom unierten Chaldäischen Kirche beschloss 2015, in ihren Kirchen nur ein leeres Kreuz anzubringen.
Der Westen übernahm, was im Orient entstanden war, und entwickelte etwa zur selben Zeit eigene Formen des Kreuzes ohne Korpus, so etwa das reich vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Gemmenkreuz. Ebenso leuchtete das Kreuz als Mosaik in den Apsiden vieler Kirchen. Erst in der Romanik wurde das Kreuz mit dem Leib Christi verbunden; doch nicht der leidende, sondern der sieghafte Christus, oft sogar mit einer Krone am Haupt, steht am Kreuz. Die Darstellung des leidenden Christus am Kreuz ist der Gotik vorbehalten.
Einen Nachklang von der ursprünglichen Sicht des Kreuzes als Zeichen der Auferstehung erleben wir heute noch am Karfreitag. Aus der Zeit um 800 ist erstmals der Brauch bezeugt, ein Kreuz in die Kirche zu tragen und es dem Volk zu zeigen. Dazu wird der Gesang angestimmt: „Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen. Kommt lasset uns anbeten.“ Während der Kreuzverehrung des Volkes wird eine Antiphon aus dem 9. Jahrhundert gesungen: „Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen wir: Denn siehe, durch dieses Holz kam Freude über alle Welt.“ Wie wird doch das „Holz des Kreuzes“, das durch den Leib des Herrn geheiligt wurde, als Zeichen der Auferstehung verehrt! Auch das beliebte Lied „Heil‘ges Kreuz sei hochverehret“ verweist auf den „Kreuzstamm Christi … strahlend gleich dem Morgenstern“.
Hans Hollerweger war Professor für Liturgiewissenschaft in Linz. Der Experte für orientalische Kirchen gründete die „Initiative christlicher Orient“.
Sein Buch „Baum des Lebens. Darstellung und Verehrung des Kreuzes im Orient.“ (127 Seiten, 18 Euro) kann bestellt werden unter: https://ico-christlicherorient.jimdo.com
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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