Wort zum Sonntag
Allein schon, dass er ein Wolf ist, machte ihn verdächtig. Von Natur aus irgendwie. Solange hat man ihm alles Böse zugeschrieben, bis er fast ausgestorben war. In Europa kommt er allmählich wieder. Und schon ist sie wieder zu hören, die warnende Stimme der Geiß, die in Grimms Märchen den sieben jungen Geißlein zurief: Vor dem bösen Wolf nehmt euch in Acht.
Für Wölfe gehen solche Geschichten im Allgemeinen schlecht aus. Im Märchen vom Rotkäppchen stopft ihm der Jäger Steine in den Bauch, näht ihn zu, sodass er tot umfällt, sobald er aufsteht.
Es gibt Wolf-Existenzen. Menschen, denen man einfach nichts Gutes zutraut. Vom Wesen her müssen sie böse sein. Bekehrungen zum Guten sind in den Märchen selten. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist ziemlich scharf gezogen. Gnadenlos scharf.
Jemandem die Wandlung vom Bösen zum Guten zuzutrauen, gehört zu den menschlich herausragendsten Leistungen. Der christliche Glaube kennt diese Perspektive von Reue und Vergebung. Reue ist ein Wandlungsweg. Eine wirkliche Veränderung. Eine Arbeit an sich selbst. Eine Neuorientierung. Und: Es ist eine der Gaben, die Jesus den Aposteln mitgegeben hat. Die Reue eines Menschen sollen sie ganz machen, die Vergebung zusprechen. Es ist gut.
Die moderne Zeit mit ihren digitalen Schuldenregistern ist keine gute Zeit für „Wölfe“. Man lässt den Menschen nicht aus seiner Schuld heraus. Ziemlich gnadenlos ist da unsere doch so aufgeklärte Zeit. Sie geht auf Nummer sicher – und versäumt damit ein gewaltiges Hoffnungspotential.
„Das Böse ist immer und überall“, heißt es im Lied vom „Banküberfall“ von „Erste Allgemeine Verunsicherung“ aus dem Jahr 1985. Der Allgegenwart des Bösen in der Welt stellt der christliche Glaube die Kraft des Guten entgegen. Ich muss mich nicht vom Bösen leiten lassen, auch nicht von der Angst vor ihm. Das Gute ist ein besseres Leitmotiv.
Eigentlich liegt eine gewaltige Botschaft im Sakrament der Versöhnung und der Vergebung: Der Mensch ist nicht festgeschrieben auf das Böse, das er getan hat. Gott traut ihm den Wandel zum Guten zu – und Menschen, sofern sie an Gott glauben, sollen mitziehen mit dieser göttlichen Vergebungsbereitschaft. Sie wissen ja: Selbst der Gerechteste ist nicht aus sich selbst gerechtfertigt, sondern weil Gott ihn gerecht macht. Das ist die Erkenntnis der christlichen Kirchen.
Ist es die Angst, die diese christliche Vergebung eher an den Rand des menschlichen Lebensalltages gedrängt hat? Weil Menschen mit der Großzügigkeit Gottes nicht mithalten wollen? Es sei naiv, so gut vom Menschen zu denken, sagen manche. Wer garantiert dafür, dass er nicht wieder zurückfällt?
Der Wandel ist möglich. Der Weg vom Bösen zum Guten steht offen. Ein Egoist kann zum Wohltäter werden, ein Menschenfeind zum Menschenliebhaber. Gott traut diesen Wandel den Menschen zu.
Zum Christlichen gehört auch, dass man Menschen auf ihren Bekehrungswegen nicht alleine lässt, sondern dass man mitgeht und einander stärkt – und dass man ihnen neu Achtung schenkt.
Sieben Geißlein und Rotkäppchen. Der Wolf, er ist kein böses Tier.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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