Katharina Schindelegger (33) ist Theologin und Journalistin. Sie ist in den Pfarren Ober Sankt Veit und Unter Sankt Veit – Zum Guten Hirten (Wien 13) als Pastoralassistentin tätig.
Erwachsene schreiben selten Wunschzettel an das Christkind. Täten sie es, wäre heuer wahrscheinlich auf vielen Wunschzetteln das Wort „Friede“ zu lesen gewesen. Dabei hätte das Christkind diesen Wunsch gut verstanden. War es doch selbst ein Flüchtlingskind, auf der Flucht vor Gewalt und Terror geboren, auch wenn es seinerzeit nicht in einem Zeltlager oder Asylantenheim, sondern in einem Stall gelandet ist. Unsere Welt hat sich seit der Antike sehr gewandelt, aber friedvoller ist sie nicht geworden. Ist der Wunsch nach Frieden unerfüllbar?
Keineswegs. Nur genügt es eben nicht, sich den Frieden herbeizuwünschen. Jeder Einzelne von uns ist gefragt und eingeladen, aktiv zur Friedensstiftung beizutragen. Denn wenn wir nicht imstande sind, in unseren Wohnzimmern, Schlafzimmern, Arbeitsbereichen etc. Frieden zu halten und zu schaffen, wie soll dann ganzen Völkern eine friedliche Koexistenz gelingen?
Aber warum ist es so schwer, den Frieden zu bewahren? Nun, es ist leicht, solange man ringsum sich Harmonie verspürt, und alle einem wohlgesonnen sind. Wird man hingegen angeschnauzt, attackiert, ungerecht beschuldigt, verleumdet oder sonst irgendwie empfindlich getroffen, dann sieht die Sache anders aus. Sofort ist das dringende Bedürfnis da, zurückzuschnauzen, zurückzuattackieren usw. – also auf Konfrontation zu gehen.
Das „Wie du mir, so ich dir“-Prinzip steckt als tierisches Erbe tief im Menschen. Und nicht nur dies. Hat man das Gefühl, dem Angreifer unterlegen zu sein, also zur (nur scheinbar logischen) „Retourkutsche“ nicht imstande zu sein, dann ist man schnell bereit, seine Wut und Entrüstung an Unschuldigen und Unbeteiligten auszulassen. Wiederum gemäß der tierischen Hackordnung, der zufolge man von denjenigen gehackt wird, gegen sie man sich nicht wehren kann, und dafür diejenigen hackt, die sich gegen einen selbst nicht wehren können. Auf solchen Wegen ist freilich kein Friede herstellbar; es entstehen nur Zirkel oder Endlosketten des Leides, das einander zugefügt wird.
Das bedeutet, dass wir uns schon ein wenig über unsere animalischen Instinkte erheben bzw. von unserem spezifisch humanen geistig/ethischen Potential Gebrauch machen müssen, wenn wir uns einer Friedenssicherung annähern wollen. In der Geschichte „Der kleine Weg zum Frieden“ von Bert Losse (Körner, Fellbach, 1993) beschreibt Losse eine ungewöhnliche Alternative zum simplen Zurückbeißen.
Hier ein Auszug:
Ein Mann setzt sich im Park auf eine Bank. Ein fünfjähriger Junge klettert neben ihn. „Guten Tag“, sagt der Mann. „Das ist meine Bank!“ sagt der Knirps. „Hmm“, sagt der Mann und kramt in seiner Hosentasche. Zwei Bonbons kommen zum Vorschein. „Kannst ja eines haben“, sagt der Mann. „Joooh.“ Beide betrachten angestrengt ihre Schuhe. Der Knirps malt mit seinen Zehen Kreise in die Luft. „Kannst auch ein Stück von meiner Bank haben.“ Schweigend sitzen sie nebeneinander und lutschen ihre Bonbons.
Das ist kein kleiner Weg, sondern geradezu der Königsweg zum Frieden. Der Mann auf der Bank lässt sich nicht provozieren, sondern beantwortet die Unfreundlichkeit des Knirpses mit einem (nur scheinbar unlogischen) Freundschaftsvorschuss. Schluss mit „Wie du mir, so ich dir“! Schluss mit der Leidvermehrung! Er kommt dem Jungen ein Stück entgegen, reicht ihm die Hand, bremst die Aggression aus, die in der Luft hängt … und selbst ein Fünfjähriger kann sich der Wundheilung der Güte nicht entziehen.
Was meine ich mit Wundheilung? Dass es hauptsächlich Verwundete sind, die Wunden schlagen. Gerald Hüther spricht davon, dass das Böse zwischen den Menschen „der ständige Mitfahrer auf dem Karussell der Lieblosigkeit ist, das sich von Generation zu Generation weiterdreht. Wer böse behandelt worden ist, neigt dazu, andere böse zu behandeln.“ Auch der Junge auf der Bank wird schon einige Dämpfer erlebt haben. Aber darauf kommt es letztendlich nicht an. Niemandem bleibt es erspart, Frustrationen und Unannehmlichkeiten einzusammeln. Um den Frieden nicht stets aufs Neue zu verspielen, bedarf es Verwundeter, die aufhören, Wunden zu schlagen. Bedarf es einer Generation, die das Karussell der Lieblosigkeit anhält. Es bedarf der Helden, die Zirkel und Ketten des Leides aufbrechen und unterbrechen, indem sie einen erfahrenen Schmerz weder zurückgeben noch weitergeben, sondern dadurch entsorgen, dass sie ihn in eine menschliche Meisterleistung transformieren: nämlich aushalten und in ihren Reaktionen darauf Niveau halten. Indem sie einem „Feind“ mit Geduld und Großzügigkeit begegnen, erretten sie die Hoffnung für ihn und sich, den Schlingen permanenter Feindseligkeit zu entrinnen. Gewiss, man darf nicht alles mit sich machen lassen, doch selbst notwendiges Grenzenaufzeigen kann im Rahmen von Achtung und Respekt geschehen.
Mein Lehrer, Viktor E. Frankl, hat 1945 solch eine Meisterleistung vollbracht. Er zog nach seiner Befreiung aus höllischen Konzentrationslagern buchstäblich den Häftlingskittel aus, den Arztkittel wieder an, und half seinen Patientinnen und Patienten in der Wiener Poliklinik mit brillanter therapeutischer Kunst – ohne jemals zu fragen, ob sie früher dem antisemitischen Gehetze zugejubelt haben oder nicht. Auf diese Weise trug er nicht nur zur deutsch-jüdischen Versöhnung bei, sondern fand auch zum inneren Frieden mit der eigenen Vergangenheit. Vielleicht ist es kein schlechter Tipp, zum Ausklingen des Jahres generös und zuversichtlich seelische Altlasten abzuwerfen, mit Rachegelüsten und Vorwürfen aufzuhören und statt dem Leid lieber die Hoffnung in der Welt zu vermehren.
Katharina Schindelegger (33) ist Theologin und Journalistin. Sie ist in den Pfarren Ober Sankt Veit und Unter Sankt Veit – Zum Guten Hirten (Wien 13) als Pastoralassistentin tätig.
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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