Wort zum Sonntag
Im Abschiednehmen bin ich immer noch nicht wirklich gut. Dafür haben über sechzig Jahre nicht gereicht. Denn ein Abschied, das habe ich im Lauf meines Lebens festgestellt, kommt nie allein. Er hat immer Gefährtinnen dabei. Zum Beispiel die Wehmut und die Traurigkeit. Etwas ist zu Ende, muss los- und zurückgelassen werden. Gehört nicht mehr zu meinem Leben, geht weg. Seien es liebe Menschen, ein Haus, vertraute Dinge, meine Arbeit. Selbst wenn ich den Abschied selber wollte und mich dafür entschieden hatte: Die Wehmut und die Traurigkeit haben sich stillheimlich in mein Herz eingenistet. In solchen Momenten kann mir die vielgepriesene Lust am Loslassen gestohlen bleiben.
Aber nur für eine gewisse Zeit – denn irgendwann fordert eine andere Gefährtin des Abschieds ebenfalls ihr Recht, nämlich die Zuversicht. Sie sagt mir: Hör auf zu jammern, trau dich, schau auf das, was jetzt kommt und Platz verdient bei dir. Sie sieht, dass erst mit dem Loslassen etwas Neues möglich wird. Wenn ich mir dann ein Herz fasse und groß zu denken wage, geht es mir ein bisschen wie Petrus auf dem Wasser. Er fürchtet sich zwar unendlich, marschiert aber im Vertrauen auf Jesus drauflos – und macht die Erfahrung, wie sehr ihn Jesus zu tragen vermag, wenn er ihm denn glaubt. Was für eine tiefe Beziehung da zum Ausdruck kommt!
Wenn Kinder irgendwo verwegen weit oben stehen und zu Mama oder Papa rufen „Fang mich!“ – und sich dann vertrauensvoll in die Arme der Eltern werfen, sind sie von ähnlichem Vertrauen getragen. Auch das ist gemeint, wenn uns Jesus auffordert, wie Kinder zu werden. Offenbar ist das Vertrauen dabei, wenn Abschiede gut gehen und gelingen. Vertrauen in die Zukunft, in Beziehungen, ins Leben, das trägt.
Zum Team des Abschieds gehört wohl auch die Erinnerung. Sie kommt nicht immer sofort, sondern lässt sich Zeit. Dafür bleibt sie dann aber lang.
Wie habe ich das altertümliche Haus meiner Oma geliebt! Es war alt, feucht und nicht mehr renovierbar. Nach ihrem Tod wurde es verkauft und schlussendlich geschleift. Das ist schon viele Jahre her. Aber immer noch rieche ich das feuchte Gewölbe, sehe die Blumen vor dem Küchenfenster, immer Fuchsien, und spüre den Rauch in den Augen, wenn der Ofen wieder einmal nicht gezogen hat. Das Haus ist weg – aber was es für mich bedeutet hat, ist abrufbar. Und mit dem Haus ist meine Oma, die das Zentrum des Hauses war, in mir lebendig. Ich erinnere mich.
Sie haben mich übrigens immer gefunden in meinem Versteck unter dem Schreibtisch, mich herausgezogen und fest umarmt. Und sind meine ganze Kindheit lang verlässlich wiedergekommen, jedes Jahr.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>