KOMMENTAR_
„Wir wollen eine synodale Kirche sein, eine Kirche auf dem Weg, eine Kirche, die immer den Frieden sucht, die immer die Barmherzigkeit sucht, die immer besonders denjenigen nahe sein will, die leiden.“
Mit diesen Worten beendet der neu gewählte Papst Leo XIV. seine erste Ansprache auf der Mittelloggia des Petersdoms, ehe er das Ave Maria betet. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Synodalität zur Sprache kommt, kündigt aus meiner Sicht die Art und Weise an, wie Leo XIV. sein Pontifikat anlegen wird: gemeinsam, auf einem Weg. Dies lässt alle aufatmen, die um das Erbe von Papst Franziskus besorgt sind. Die Verantwortung für Friede und Gerechtigkeit, die Suche nach einer missionarischen Kirche, die Brücken baut, den Dialog pflegt, die Armen und Leidenden empfängt: all dies, geleitet von Christus, ist die gemeinsame Aufgabe aller Gläubigen. Wer wird hier nicht freudigen Herzens zustimmen?
Leo XIV. interpretiert den Begriff der Synodalität im Horizont der Gemeinschaft, der Communio, die ein Schlüsselbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils ist. Seine weitere Implementierung war auch für Papst Franziskus zentral.
Dies ist eine überaus geschickte diplomatische Formulierung – eine Fähigkeit, die Robert Francis Prevost von vielen Seiten nachgesagt wird, und wohl auch einer der Gründe für seine Wahl. Die Gemeinschaft zu betonen holt auch jene ins Boot, insbesondere jene Bischöfe und Kardinäle, die dem synodalen Reformprojekt von Papst Franziskus mit Skepsis, ja sogar Widerstand begegnet sind, weil aus deren Sicht viel Verwirrung Einzug in die Kirche genommen hätte und insbesondere die Rolle des Bischofs zur Disposition gestellt würde. Offen ist freilich, wie dieser gemeinsame Weg nun im Konkreten aussehen wird, welche praktischen und vor allem kirchenrechtlichen Konsequenzen er haben kann und wird. Denn mit dem moralisch hoch aufgeladenen Verweis auf die Gemeinschaft muss sich nicht zwangsläufig eine strukturelle, rechtliche oder gar lehramtliche Reform verbinden. Man kann ihn, insbesondere im kritisch-konservativen Teil der Kirche, auch dazu verwenden, um Reformen abzuwehren. Die Mehrheit der Kommentare, die in den letzten Tagen zum neuen Papst medial zu hören und zu lesen waren, setzt freilich diesbezüglich große Hoffnungen in Leo XIV.: Gehofft wird, dass er – als Kanonist und pragmatischer Organisator – die Weichen, die sein Vorgänger gestellt hat, in eine kirchenrechtliche Form gießt.
Papst Leo XIV. blickt beim Mittagsgebet am 11. Mai in die Menschenmassen, die sich auf dem Petersplatz und in der Via della Conciliazione drängen. Aufgrund der hohen Sicherheitsmaßnahmen kamen viele hinter den Absperrungen zum Petersplatz zu stehen.
Ich persönlich glaube, dass dies noch einige Zeit dauern wird und insbesondere die Gläubigen in unseren Breitengraden die Erwartungen nicht allzu hoch stecken sollten und (wiederum) Geduld haben werden müssen. Wenn ich betrachte, was man bisher über den kosmopolitischen US-Amerikaner mit peruanischer Seele in Erfahrung bringen kann, wird er wohl zuerst versuchen (müssen), den Widerstand gegen die Franziskusreformen zu bearbeiten – und dieser ist nicht gering. Denn die drei vergangenen, trotz aller Beteuerung der Kontinuität doch sehr verschiedenen Pontifikate haben eine Kirche hinterlassen, die von Konflikten und Spannungen gekennzeichnet ist. Als zutiefst geistlicher Mensch, Dialogiker und Diplomat wird Leo XIV. daher den weiteren Weg mittels geistlicher Vertiefung anleiten, verbunden freilich mit der gleichzeitigen missionarischen und diakonalen Hinwendung zur Welt. Ein Beleg dafür ist, dass er in seiner ersten Predigt in der Sixtinischen Kapelle die Kirche als „mystischen Leib Christi“ bezeichnet und die Christus-Verkündigung ins Zentrum gestellt hat. Diese enge Verbindung zwischen einem mystisch vertieften Glauben und der sozialen und politischen Sendung der Kirche, die er in der ersten Ansprache betont hat, zu fördern, braucht Zeit. Denn faktisch gruppieren sich die zerstrittenen Gruppen in der Kirche oft nur um einen der beiden Pole. Dieser Weg wird deshalb wohl nicht durch rasche Entscheidungen abgekürzt werden. An diesem Punkt herrscht aus meiner Sicht Einigkeit zwischen Leo XIV. und Franziskus.
Theologisch halte ich diesen Weg für korrekt. Ob er im deutschsprachigen Raum aufgeht, in dem der Glaube massiv erodiert ist und ein signifikanter Teil der Gläubigen die Lösung der Probleme vor allem von raschen strukturellen Reformen und Veränderungen, nicht zuletzt in der „Frauenfrage“, sprich: Frauendiakonat, erwartet, bezweifle ich. Hilfreich beim Werben um diesen gemeinsamen Weg können der zuhörende, bescheidene und integrative Stil wie auch der intellektuelle Zugang von Leo XIV. sein. Zugleich muss man sich bewusst sein, dass der neue Papst gegenüber der westlichen Kultur doch deutliche Vorbehalte hat, insbesondere wenn es um die „heißen Themen“ hierzulande geht. Deshalb sollten vor allem die deutschsprachigen Bischöfe auch ihrerseits offensiv den Dialog mit Leo XIV. suchen und ihm die spezifische Situation hierzulande verständlicher machen. Diesem Papst ist zuzutrauen, dass er versteht und situationsgemäße Lösungen findet.
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