BRIEF_KASTEN
Was willst du einmal werden? Wenn ein Mensch zehn ist, bekommt er diese Frage oft zu hören. Ärztin, sagt er dann, Lehrer, Astronautin oder: Ich weiß es nicht.
Jahrzehnte später: Die Zeit, in der dieser Mensch gewesen ist, was er werden wollte, liegt zurück. Die Haare auf dem Kopf sind dünner, die Falten mehr geworden. Was bist du gewesen, wird derselbe Mensch nun gefragt – und man meint: Welchen Beruf hast du ausgeübt? Es ist, als ob nur diese im Schnitt mittlere Hälfte des Lebens zählen würde – als ob er davor nicht ganz Mensch gewesen wäre, und es seither nicht mehr ganz ist.
Interessant, dass in der Bibel solche Fragen keine Rolle spielen. Dass ein paar der Apostel Fischer waren, wird nur beiläufig erwähnt. Dass Jesus wie sein Vater vermutlich auch das Zimmerhandwerk gelernt hat, spielt gar keine Rolle. Als solchen kennt man ihn jedenfalls kaum. Nicht WAS du bist, sondern WER du bist, zählt. Bei der Schilderung des Jüngsten Gerichts kommen die letztendlichen Fragen: Bist du aufmerksam für den Hunger und Durst der Menschen gewesen und für die Einsamen?
Was also jemand werden will, da könnte die Antwort auch lauten: Einer, der zu versöhnen oder zu trösten versteht! Oder ganz einfach: Hilfsbereit. Oder: Ein Mensch, der Freude in eine Gemeinschaft bringen kann. Ein Botschafter des Gotteswortes. Ein Mensch, der sich traut, Partei zu ergreifen, wo Unrecht geschieht. Bis zum letzten Lebenstag dauert das Werden. Nicht nur diese mittleren Jahre, das ganze Leben ist es, das zählt.
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