BRIEF_KASTEN
Goethes Gretchendrama war von der Wirklichkeit inspiriert: Die Dienstmagd Susanna Margaretha Brandt tötete 1771 ihr Neugeborenes und wurde öffentlich hingerichtet. Goethe reflektierte im „Faust“ zwar die Unschuld des Mädchens, die Gemeinheit des Verführers und die Scheinheiligkeit der Gesellschaft, befürwortete aber die Todesstrafe. Ein nicht eheliches Kind galt und gilt teils bis heute als peinlich bis schändlich für die Mutter (kaum für den Vater) – und für das Kind! Ob dieses Urteil mehr kulturell oder mehr religiös begründet war, ist zweitrangig. Kirchenvertreter traten nicht ausreichend dafür ein, dass jeder Mensch die gleiche Würde hat, im Gegenteil: Bis 1983 galt uneheliche Geburt als Hindernis für die Priesterweihe. Vieles hat sich verbessert. Aber treten Christ/innen heute ausreichend dafür ein, dass jedes Kind willkommen ist, egal, wer es mit wem – oder ohne wen – bekommt? Es reicht nicht, durch die Straßen zu ziehen und zu fordern, dass Abtreibung wieder stärker bestraft werden soll. „Märsche für das Leben“ werden von den USA ausgehend gerade wieder „in“, wie vergangene Woche in Berlin, Zürich oder Warschau. Moralisieren wirkt aber nicht. Was helfen kann, ist Menschenliebe ohne Verurteilung.
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