BRIEF_KASTEN
Es ließ ihm keine Ruhe – all das Erlebte aus den 91 Jahren, die der ehemalige Tierarzt Dr. Karl Kaltenböck auf dieser Erde verbracht hat. Ein Staunen war es, das ihn oft in der Nacht unruhig werden ließ. So stand er immer wieder auf, um diese Rührung der Seele in Worte zu fassen, und Satz um Satz hinzuzufügen. In sechs Grundwahrheiten gießt er er das Resumee seines Lebens.
16 ist Karl gewesen – in der fünften Klasse im Staatsgymnasium in Linz –, als einer nach dem anderen die Einberufung bekam. Sein linker Sitznachbar. Einberufen. Gefallen. Sein rechter Sitznachbar. Auch. Der Cousin. Ebenso. Karl erzählt vom Drill in der vormilitärischen Ausbildung, dem Fanatismus der Oberen. Auch davon, wie sie Abwehrgeschütze gegen die Bombenflugzeuge in Leonding bedienen mussten. Davon, wie sie einmal an einem Sonntag frei bekamen und im Linzer Dom zu einer Christkönigsfeier zurechtgekommen sind – wie ihn dieses Ereignis gepackt hat. Es gab doch einen anderen Geist als den propagierten des Nazireiches, in dem nur das Recht des Stärkeren zählte und in dem der Einzelne nichts, das Volk alles war. „Ich habe mich so gefreut, dass wir als Christen nicht alleine sind“, hat er den Tag bis heute in Erinnerung.
„Eigentlich habe ich in meinem Leben nie wirklich Angst gehabt“, erzählt Kaltenböck in der Stube seines Hauses in Gallneukirchen. „Ich hatte dieses Grundvertrauen: Die Liebe Gottes ist mir dir!“
Das galt für die Jahre des Krieges und auch für die Zeit, als ihn die Ärzte wegen einer schweren Blutvergiftung, die er sich als Tierarzt zugezogen hatte, aufgegeben hatten. Seine Frau Gertrude war damals mit dem fünften Kind schwanger.
Gertrude ist vor elf Jahren gestorben. Zusammen mit ihren Kindern – acht sind es geworden – hat er sie in den letzten Monaten gepflegt, sodass sie daheim sterben konnte. „Da habe ich ihr vielleicht doch etwas zurückgeben können“, sagt Karl. Das hätte er sich – wenn er auf all die Jahrzehnte zurückblickt – gewünscht: dass er sich mehr Zeit für die Familie nehmen hätte sollen. Der große Rayon verlangte dem Tierarzt alles ab. Tagsüber, aber auch in vielen Nächten, in denen er zu den Bauernhöfen der Region unterwegs war.
Am Ende des Krieges schlug sich der junge Mann von Villach nach Salzburg durch und kam schließlich in ein amerikanisches Lager. „Die 40 Tage im Lager haben mich geprägt“, erzählt er heute. Zu essen bekamen sie fast nichts. Aber Kaltenböck hat das Neue Testament gelesen in jenen Tagen. Es wurde zur Nahrung, die ihn durch das Leben trug.
So hat er die Gabe, all das, was auf der Welt geschieht, auch mit dieser Hoffnung zu sehen: Es wird gut werden. Im Alter weitet sich sein Blick in ein immer größeres Staunen.
Letzten Dezember holte sich der 91-Jährige eine schwere Lungenentzündung. Es stand nicht gut um ihn. Angst hatte er auch da nicht. Langsam erholt er sich, doch er gerät leicht außer Atem – vielleicht wird es besser, wenn die warmen Tage kommen.
Karl Kaltenböcks Wunsch für die späten Jahre ist: Sein Staunen möchte er nicht für sich behalten, er möchte diese Gabe weiterschenken. Mit seinem Tierarzt-Kollegen, dem berühmten Nobelpreisträger Konrad Lorenz, weiß er sich einig, wenn dieser vom „Irrglauben“ sprach, der „darin bestünde, dass nur das reale Existenz habe, was sich in der Terminologie der exakten Naturwissenschaften ausdrücken (...) und beweisen“ ließe. Freiheit und Würde, Freundschaft, Liebe und Treue würden in solcher Gesinnung zum Nichts. Ein naturgegebenes Suchen nach Sinn und Ziel der Welt und des Lebens würde so ausgeschlossen, sieht auch Kaltenböck einen folgenschweren Irrtum in solchem Denken. Leider wäre den Menschen zu wenig bewusst, wieweit sie sich damit in ein Leben ohne Würde und Ziel verirren. Auf diesem Hintergrund hat Karl Kaltenböck die „Sechs Wirklichkeiten zum Staunen“ zu Papier gebracht. Das aufmerksam-ehrliche Bedenken dieser Wirklichkeiten könne in Menschen die Überzeugung kräftigen, „dass dieses Leben, das im Kleinen so wunderbar gestaltet wurde, auch ein großes Ziel haben müsse“. Seine „Erdverbundenheit“ habe ihm zu solchen Einsichten geholfen, sagt Karl. Als Jugendlicher hat er am elterlichen Bauernhof mitgearbeitet, nach dem Krieg sogar den Knecht ersetzt.
Vor Kurzem, erzählt Karl Kaltenböck schon im Stehen beim Abschied, habe er einen merkwürdigen Traum gehabt. Da waren Leute in der Stadt, aber niemand ging auf den Gehsteigen dieser Stadt. Schwebend bewegten sich die Menschen über die Dächer hin. Karl war etwas verstört von diesem Traum, doch als er dasselbe noch einmal träumte, fragte er sich: „Was mag es bedeuten?“ Diese Deutung hat er gefunden: Menschen haben die Bodenhaftung, den Grund des Lebens verloren. So hofft er, dass Kinder von diesem seinem Staunen berührt werden – und Boden finden im Leben. Eine Hilfe möcht er geben und seine Gedanken nicht für sich behalten.
Sechs Wirklichkeiten zum Staunen
Das Staunen über die Natur ist die unentbehrliche natürliche Grundlage eines jeden Glaubens eines Menschen.
In unserer Zeit richtet sich das Staunen immer mehr weg von der Natur und hin zu den großartigen Leistungen von Wissenschaft und Technik. Diese Tendenz ist die tiefste Ursache der großen Glaubenskrisen unserer Zeit.
Und dennoch bewegen uns wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur unseres Körpers mit Staunen, wenn wir das für Menschen unerreichbare Gestaltungsvermögen der Natur betrachten.
Sechs Wirklichkeiten zum Staunen können eine unanfechtbare Festigung des Glaubens an einen Schöpfer der Welt und des Menschen bewirken.
Karl Kaltenböck
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