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Die ersten Einstellungen sind Programm für einen Film, der in den folgenden 120 Minuten einen allzu bekannten Ort unter einem anderen Blickwinkel erscheinen lässt. Ein fast leerer Parkplatz in der Morgendämmerung (oder ist es das Tagesende?) wird, akustisch vom Donauwalzer begleitet, in die leeren Gänge eines großen Supermarkts überblendet, in denen Gabelstapler die Bahnen ziehen.
Von drei Ortswechseln abgesehen werden diese Gänge und zwischendurch die Pausenräume den Hauptschauplatz von Thomas Stubers Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte von Clemens Meyer bilden. Man merkt dem Film in seiner Detailgenauigkeit die präzise Kenntnis des Arbeitsumfelds an, die sich Meyer, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, in seiner dreijährigen Tätigkeit als Gabelstaplerfahrer angeeignet hat. Der Film bietet einen lakonischen Einblick in die Arbeitsbedingungen in einem Großmarkt in der Provinz von Leipzig.
Christian (Franz Rogowski) ist neu in diesem Betrieb, in dem er in der Getränkeabteilung zur Probezeit zugeteilt ist. Ihm eröffnet sich eine fremde Welt mit eigenen Gesetzen, die sich mit der Logistik des Warenlagers, mit den wie in Revieren abgesteckten Arbeitsbereichen und der eigentümlichen Mechanik der Gabelstapler zunächst wie eine surreale Parallelwelt zur Realität darstellt. Doch ein Kollege nimmt sich seiner an. Bruno (Peter Kurth) mag den Neuen, vielleicht auch darum, weil dieser nicht viel spricht. Und dann ist da noch Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung, in die sich Christian verliebt.
Getragen von den drei großartigen Schauspielern ist Thomas Stuber ein Film im Stil des poetischen Realismus im Frankreich der 30er-Jahre gelungen. Wie in den Filmen von Clair, Carné und Renoir sind einsame Menschen, die keine großen Ziele haben (können), die Hauptfiguren. Schon die heimlich gerauchte Zigarette auf der Toilette oder der gemeinsame Kaffeegenuss vor einem Plakat, das eine Palme auf einer Südseeinsel zeigt, gehören zu den größten Freuden des Alltags. Aber „In den Gängen“ ist auch ein Film über den Wert der Arbeit und den sozialen Zusammenhalt. In der Meister/Schüler-Beziehung zwischen Bruno und Christian wird die Bedeutung professionellen Handwerks, das von Vorbildwirkung lebt, betont. Dass Gabelstaplerfahren eine hochkomplizierte Tätigkeit ist, die Feingefühl und Präzision verlangt, belegt dieser Film mit Nachdruck.
Und doch liegt eine eigentümliche Melancholie wie ein Schleier über den drei Hauptfiguren, die wohl auch wegen ihres einsamen Daseins nur im Supermarkt bei der Arbeit zufrieden wirken. Wenn die Kamera sie in drei Sequenzen ins private Umfeld begleitet, bietet sich ein trostloses Bild: Christian, der wie ein Einsiedler in seiner spartanisch eingerichteten Wohnung lebt, Marion in einem schmucken Einfamilienhaus, in dem ihr, wie man erfährt, von ihrem Mann „weh getan“ wird, und Bruno, der in einem heruntergekommenen Bauernhaus an der Autobahn sein Dasein fristet und von der Vergangenheit als Fernfahrer träumt: „Mir geht die Straße ab“, sagt er einmal, während die LKWs in Kolonnen an seinem Haus vorbeirollen. Wichtig sei der Zusammenhalt gewesen unter seinen Fahrerkollegen, aber auch jetzt: „Wir sind ´ne tolle Truppe.“ Das Ende der Arbeit, so zeigt dieser großartige Film, macht die Menschen erst recht unglücklich.
Einführung und Diskussion, Filmabend der AK, Freitag, 8. Juni 2018, 21 Uhr, im Moviemento Linz.
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