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Sie dirigieren am 11. Oktober das Bruckner Orchester Linz. Was bedeuten Ihnen Anton Bruckner und seine Kompositionen? Was verbinden Sie mit Bruckners Werken?
Han-Na Chang: Anton Bruckner ist einer der vier großen Komponisten, deren Sinfonien ich als Teenager studiert hatte, noch bevor ich Dirigentin wurde. Ich begann meine Karriere als Solocellistin im Alter von elf Jahren, und für mein musikalisches Wachstum und mein tieferes Studium und Verständnis der Musik studierte ich die Partituren von Beethoven, Brahms, Mahler und Bruckner, jene vier Komponisten, die die sinfonische Musik veränderten, aber auch sehr wenig oder gar nichts für das Cello schrieben.
Bruckners Musik ist für mich der Ausdruck der Ewigkeit, des Glaubens und des Gebets, die in Klang gebaut sind. Eine Kathedrale, die im Klang gebaut ist: majestätisch und intim, stark und doch zerbrechlich genau wie der menschliche Glaube.
Das Abschlusskonzert des Internationalen Brucknerfests 2023 findet in der Basilika des Stifts St. Florian statt. Haben Sie die Basilika schon besucht? Worauf freuen Sie sich?
Chang: Ja, ich habe 1997 beim Brucknerfest gespielt, in der Basilika als Solistin mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Maestro Giuseppe Sinopoli, einem meiner wichtigsten Mentoren. Ich kann es kaum erwarten, wieder in Linz zu sein, beim Brucknerfest und in Sankt Florian – und auch die Präsenz Bruckners zu spüren, zu denken, dass er dort war und auf der Orgel improvisierte und der gesamte Raum der Basilika mit seinem Klang, seiner Musik, seiner Präsenz gefüllt war. Das ist so fantastisch und zutiefst bedeutsam für mich.
Bei diesem Konzert dirigieren Sie zum ersten Mal das Bruckner Orchester Linz. Wie bereiten Sie sich auf die Leitung des Orchesters vor?
Chang: Meine Arbeit und Vorbereitung steckt in der Partitur, in den Noten, die die Komponisten hinterlassen haben. Als Dirigentin habe ich die große Ehre, danach zu streben, die Absichten des Komponisten zu erkennen und diese Vision gemeinsam mit den Musikern des Orchesters in realen Klang zu bringen. Ich freue mich sehr, das Bruckner Orchester Linz kennenzulernen!
Sie haben Philosophie an der Universität Harvard studiert. Hat Ihr Studium auch Ihren Zugang zur Musik beeinflusst?
Chang: Die Philosophie hat mich gelehrt, dass es nie eine richtige Antwort gibt, sondern dass es viele Perspektiven gibt, aus denen man die Fragen stellen kann. Es hat meinen Denkhorizont erweitert, und ich denke, das ist auch in der Musik so.
Es gibt nicht die eine richtige Antwort, aber als Musikerin ist es mein Ziel, der Musik zu dienen, dem Komponisten treu zu sein und die Vision – die Interpretation – der Musik zu finden, die auch dem treu bleibt, wer ich als Musikerin bin, meiner eigenen Identität und meiner eigenen Stimme als Musikerin.
Unter dem Motto „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.“ aus Goethes Faust II steht das diesjährige Internationale Brucknerfest Linz ganz im Zeichen von Musen, Musikerinnen und Mäzeninnen sowie Komponistinnen. Hatten Sie weibliche Vorbilder auf Ihrem Weg in die Welt der Musik?
Chang: Meine Vorbilder sind Musikerinnen wie die große Cellistin Jacqueline du Pré, die mich als junge Cellostudentin sehr inspiriert hat, und dank des Brucknerfests bin ich auch eine leidenschaftliche Bewunderin der Komponistin Lili Boulanger geworden. Was für ein Genie!
Und was für ein Verlust, dass sie so jung im Alter von 24 Jahren gestorben ist. Hätte sie länger gelebt und komponiert, wäre die Musik des 20. Jahrhunderts von ihr dominiert worden!
Auf dem Konzertprogramm steht „Psalm 130“ von Lili Boulanger und Ethel Smyths „Mass in D“. Beide sind Frauen. Lange Zeit glaubte man einen Unterschied zwischen „weiblichen“ und „männlichen“ Kompositionen zu hören. Was halten Sie davon?
Chang: „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – Menschen, die Musik mit den Augen hören, werden darin männlich, weiblich, auch europäisch, amerikanisch, asiatisch oder alt oder jung erkennen, aber wenn man Musik mit den Ohren und dem Herzen „hört“, wie man es sollte, dann glaube ich, dass die Person in der Musik gehört wird.
Individuen sind einzigartig. Ich glaube nicht, dass zwei Menschen gleich sind: spirituell, mental, als Person, als denkendes Wesen. Es ist dieses Wesen, diese Person, die in der Musik, in der Kunst, in der Kultur, in der Welt zählt. Jeder hat seinen einzigartigen Beitrag zu leisten.
Ich hoffe, dass die Arbeit – das künstlerische Schaffen – wirklich für die Schönheit, Vision, Leidenschaft, das Verständnis, die Vielfalt und die Einheit geschätzt wird, die sie in unsere Welt bringt.
St. Florian, Stiftsbasilika, 11. 10., 19.30 Uhr, 4. Konzert im Kirchenabo des Internationalen Brucknerfests, Tel. 0732 775230, www.brucknerfest.at
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