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Was wussten wir bisher über Adolf Hitlers Vater, den Zollbeamten Alois Hitler, geborenen Schicklgruber? Dass er brutal in seinen Erziehungsmethoden und ein regelrechter Pedant war, dass er aus einer mehr oder minder inzestuösen Beziehung im Waldviertel hervorging, vielleicht ein Säufer, jedenfalls ein gescheiterter Landwirt war. Mit Roman Sandgrubers Buch, das sich zu knapp rund Dritteln mit Alois und zu einem Drittel mit den Nachwirkungen auf seinen Sohn Adolf beschäftigt, wird das Bild deutlich differenzierter. Als Historiker steigt Sandgruber zu Recht bald in die Problematik der bisher vorhandenen Quellen ein, die sich in mancher Hinsicht widersprechen und deshalb auch von Historikerinnen und Historikern unterschiedlich interpretiert wurden. Zentraler Bestandteil des Buches ist die Lebensgeschichte des unehelich geborenen Alois Schicklgruber, der mit kaum nennenswerter Schulbildung und als Schustergeselle in die Zollwache eintritt und sich dort zur Beamtenschaft mit durchaus ansehnlichem Pensionsanspruch hocharbeitet. Es ist die Geschichte eines Aufstiegs aus kleinsten Verhältnissen, aber es ist auch eine Geschichte mit schmerzlichen Grenzen. Eine dieser Grenzen erfuhr Alois Hitler (der erst mit rund 40 Jahren seinen Namen auf Hitler ändern ließ, obwohl der als Vater bezeugte Mann Hiedler hieß) in Hafeld bei Fischlham. Seine Träume, dort als Besitzer eines Bauernhofs in der Pension zu reüssieren, scheiterten. Und von diesem Scheitern erzählen die neu aufgetauchten 31 Briefe Hitlers an den Verkäufer Josef Radlegger. Ja, weil der bislang historisch so stumme Alois sich als brieflich ziemlich redselig herausstellt, erfahren wir nicht nur Ökonomisches, sondern auch so manches über seinen Charakter und auch seine Frau.
Lesenswert macht Sandgrubers Buch aber nicht allein dieser Quellenfund, sondern auch seine penible Arbeit rundherum. So zeigt uns der frühere Professor an der Universität Linz auch, wie Alois Hitler sich, insbesondere in Leonding, politisch und höchstwahrscheinlich auch publizistisch betätigt hat. Er ist dem deutschnationalen Lager zuzuordnen, genau jener Strömung, die das politische Klima in Linz zum Ende der Monarchie dominierte und an deren überhitztem Nationalismus und Antisemitismus sowie ihrer Tschechengegnerschaft auch Adolf Hitler nicht vorbeigegangen sein kann. Zu Recht weist Sandgruber daher Ansichten zurück, der spätere Diktator sei erst in Wien oder gar erst in München Antisemit geworden. Nationalismus und Antisemitismus waren in Hitlers Jugendumgebung ein alltäglicher Faktor.
Zum Gelingen des Buches trägt bei, dass Sandgruber die verschiedenen Milieus gut darstellt, mit denen die Familie Hitler in Berührung kam: Von der Kleinstadt Braunau, dem Dorf Fischlham, dem vom Kloster dominierten Lambach (wo Adolf Hitler Sängerknabe war) bis zum aufstrebenden und doch provinziellen damaligen Linz; von Kleinhäuslern und Beamten über Bauern bis zu den Linzer Bürgern. Begrüßenswert wäre es, wenn Sandgrubers Werk auch zur weiteren biografischen Erforschung der oberösterreichischen Wurzeln jüngerer NS-Täter wie Adolf Eichmann oder Ernst Kaltenbrunner führen würde. Insgesamt ist das Buch sehr empfehlenswert. Den etwas zu dick auftragenden Untertitel kann man unter den Tisch fallen lassen.
Roman Sandgruber: Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde. Molden-Verlag 2021, 304 Seiten, € 29,–.
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