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Wann sind Sie selbst mit Anton Bruckner in Berührung gkommen? Wann haben Sie zum ersten Mal Bruckner gehört?
Manfred Scheuer: Mein persönlicher Zugang zu Anton Bruckner geschah über den Musikunterricht und den Religionslehrer Johann Bergsmann. Dieser hat uns in Bruckner eingeführt. Bergsmann war sechs Jahre lang mein Musiklehrer, wir haben Bruckners Te Deum damals auf Platte gehört. Im Dom habe ich dann zum ersten Mal Bruckners „Locus Iste“ gehört.
Was mich damals bei dieser Musik existenziell berührt hat, waren diese Unterschiede: tiefe Abgründe, leiser Jubel, ein Ausbruch, ein Suchen und Finden, Zweifel.
Haben Sie selbst etwas von Bruckner gesungen?
Scheuer: In meiner musikalischen Karriere wurde ich sowohl in der Volksschule als auch im Gymnasium von meinen Lehrern als unmusikalisch beurteilt.
Ich habe erst in der Studentenzeit sukzessive die liturgischen Gesänge erlernt und bin auch mal zum Chor vergattert worden.
Immer wieder liest man, dass Bischof Franz Joseph Rudigier Werke bei Bruckner in Auftrag gegeben hatte. Heute treten Kirche als Mäzenin, der Bischof als Auftraggeber nur noch selten auf. Wie sehen Sie das?
Scheuer: Ich verbinde mit diesem Amt schon, dass ich in der christlichen Tradition stehend das Kulturschaffen fördere.
Ich habe aber erst vor vier, fünf Jahren realisiert, welche Rolle Bischof Rudigier hier hatte. Das war mir früher nicht so bewusst.
Wenn ich auf Bischof Rudigier blicke, ist das Faszinierende bei ihm, dass er damals den Dom in einem antiklerikalen Umfeld in Auftrag gegeben hatte. Was für eine verrückte Idee!
Er hat zunächst den Turm errichten lassen und die Votivkapelle auf der anderen Seite, dazwischen war viel Raum. Damit war klar, der Dom kann nicht kleiner gebaut werden. Bischof Rudigier hat zudem eine Bank gegründet, den Pressverein, den Landesverlag. Die ganze Bandbreite des Lebens ist hier bei ihm abgebildet: Kultur, Soziales, Kunst, Musik.
Auch Bruckner hat Neues geschaffen, und er hat nicht zu klein von den eigenen Möglichkeiten her gedacht.
Sie schreiben über den Zusammenhang von Musik und Architektur bei Bruckner: Bruckners e-Moll-Messe sei Musik gewordene Architektur. Der Mariendom spielt eine besondere Rolle in seinem Schaffen ...
Scheuer: Zur Grundsteinlegung des Mariendoms hat er die Festkantate komponiert, für die Weihe der Votivkapelle die e-Moll-Messe, die mit ihrer Besetzung auf die bauliche Situation Rücksicht nahm. Das Werk ist komponiert für achtstimmigen gemischten Chor und 15 Blasinstrumente. Die Musiker standen im Freien. – Seine kirchliche Laufbahn war die Voraussetzung für die Karriere als Komponist.
Brucknerforscher:innen wehren sich heute gegen die Vereinnahmung Bruckners als „Musikant Gottes“. Dennoch: Glaube, Spiritualität, Kirche spielten eine große Rolle für ihn als Mensch und Musiker. Kann man Bruckner ohne Gott verstehen?
Scheuer: In der Rezeption Bruckners fällt auf, dass er für die einen der Musikant Gottes war, andere sehen in ihm einen genialen Komponisten, der Zwangsstörungen hatte. Er hat sich vom Messkomponisten zu einem Komponisten entwickelt, der eine Offenheit für Transzendenz in den musikalischen Motiven seiner Sinfonien erkennen hat lassen.
In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hat es sicher Versuche gegeben, ihn kirchlich zu vereinnahmen. Er selbst wollte als moderner Komponist anerkannt werden.
Seine Musik war ein Gegenkonzept zum reinen Positivismus und Materialismus der damaligen Zeit. Die Entfremdung und Emanzipation von Kunst, Kultur und Kirche war im 19. Jahrhundert groß.
Bruckners Frömmigkeit hatte Züge, die irritieren, die aber auch im Umfeld des 19. Jahrhunderts zu sehen sind. Er war nicht religionskritisch.
Würde man ihm aber die Offenheit für Transzendenz absprechen, würde man ihm Gewalt antun.
Musik, Kirche und Liturgie ganz allgemein betrachtet: Welchen Zusammenhang sehen Sie heute?
Scheuer: Ich glaube schon, dass Kirche Raum für Musik ermöglicht, gerade in Österreich und dass Menschen, die mit der Kirche verbunden sind wie zum Beispiel Balduin Sulzer, auch zur Moderne etwas beigetragen haben.
Für mich geht es auch um die Frage nach dem Stellenwert der Musik in der Liturgie und Pastoral: Wir wissen, dass die Chöre, das betrifft Kinder, Jugend und Erwachsene gleichermaßen, eine sehr große Bedeutung haben für die Lebensfreude der Einzelnen und für die Gemeinschaft. Das ist wichtig, denn auch hier ist Kirche erlebbar.
In der Coronazeit hat man gesehen, wie sehr das den Menschen abgeht, wenn dies nicht mehr möglich ist.
Und ohne Musik jetzt vereinnahmen zu wollen in dem Sinne, dass es nur um „gebrauchsfertige“ liturgische Musik geht: Liturgie braucht die Musik. Zum Gebet und zum Lobgesang gehört die Musik dazu.
Inwiefern macht es einen Unterschied, Bruckners Werk in der Kirche oder im Konzertsaal zu hören?
Scheuer: Es ist ein Unterschied, wenn ich die e-Moll-Messe in der Liturgie höre oder im Konzertsaal. Bei ersterem ist es eine Form des Gebets.
In der Liturgie ist das Te Deum Bruckners nicht nur eine Aufführung, sondern eingebunden in den Vollzug dessen, was wir feiern. Und: Nicht jede Musik ist für jeden Raum geeignet.
Musik kann als Symbol des Transzendenten, als Symbol der Gottfähigkeit verstanden werden, sagen Sie. Was heißt das?
Scheuer: Musik kann mehr aussagen als das argumentative Wort. Wenn wir bei Bruckner hören „Non confundar in aeternum“ (Übersetzung: „Du wirst nicht für immer verloren sein“), dann drückt das eine Hoffnung aus, existenzielle Höhen und Tiefen werden ausgelotet. Die Musik kann diese Dimension einfangen, sie hält hier etwas offen.
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