Sein Verhalten, seine physische Struktur, ja nicht einmal sein Interesse entspricht der Norm. Wer stellt schon ununterbrochen Fragen und möchte wissen, was die anderen wann tun?
Normal wird aber auch etwas, das zwar nicht der Norm entspricht, dafür aber tagtäglich gemacht wird. So wie bei vielen Familien, sitzt auch bei uns jeder Handgriff im frühmorgendlichen Alltag: Max braucht Unterstützung beim Waschen, Anziehen, Frühstücken. Die ersten 100 Fragen werden beantwortet. Das morgendliche Gewürge gehört genauso dazu, wie das aus dem Fenster sehen, ob der Bus schon da ist. Das panische Schreien und Zwicken, wenn der Bus um 6.20 Uhr noch nicht vor dem Haus steht, die vielen zusätzlichen Handgriffe, wenn der Bus dann da ist: Das Korsett wird angelegt, damit die Skoliose nicht schlimmer wird. Die Gamaschen werden umgebunden, damit Max die Schuhe und Socken im Bus nicht ausziehen kann. Der „Tresor“ wird aufgesperrt, um den Haustorschlüssel zu holen, damit Max nicht selbständig aufsperren und entwischen kann. Der Abschnallschutz, den wir dem Busfahrer in die Hand drücken, damit Max sich nicht permanent abschnallt sowie das Durchatmen, wenn Max dann im Bus sitzt. Das ist Alltag, das ist normal für uns.
Es hat etwas Gutes, wenn etwas Normal wird, man ist daran gewöhnt, man denkt nicht mehr darüber nach und stellt nicht immer alles in Frage. Man tut es einfach. Umso schöner sind dann Auszeiten, wenn Max bei meiner Schwester und Familie oder bei meinen Eltern schlafen darf. Dann ist der Morgen so anders, wir brauchen zwar viel länger, weil nicht jeder Handgriff sitzt, aber wir freuen uns, dass es einmal nicht normal abläuft!
Für viele Leute wiederum ist es vielleicht schon normal, dass Max ihnen Fragen stellt, wenn er sie trifft. Sie sind daran gewöhnt, dass Max auf sie zustartet oder ihnen über die Straße hinweg zuschreit, wo sie denn hingehen. Für uns hingegen ist es nicht normal, dass die Leute immer wieder Antworten geben, immer wieder geduldig seine Hände aus ihren Gesichtern nehmen, sich immer wieder Zeit für unseren Max nehmen. Diese Begegnungen berühren uns jedes Mal wieder und so gesehen sind wir froh, dass doch nicht immer alles, was oft geschieht, normal wird.
Birgit und Michael Kubik
Enns, 2. April 2020
Dieser Artikel wurde vor den Corona-Maßnahmen geschrieben. Der morgendliche Alltag sieht daher nun anders aus. Was aber bleibt, ist unsere große Dankbarkeit allen Menschen gegenüber, die so geduldig und herzlich zu unserem Max sind und ihm immer wieder ihre Zeit schenken. Trotz seiner "Abnormalität".
Birgit Kubik
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