Meinen Eltern kommt es manchmal vor, als sei ich nicht von dieser Welt. Ich kann mit eurem Leben nur wenig anfangen. Ich spiele nicht, ich mache keinen Sport, ich interessiere mich nicht für Tiere oder die Natur. Ich kann nicht lesen oder schreiben. Bei mir spielt sich alles im Kopf ab - ich möchte viel wissen: vor allem über euch. Woher ihr kommt, was ihr tut und was ihr später macht. Das interessiert mich. Und Termine und Abläufe. Ich merke mir alles. Ich kann es nur nicht immer wiedergeben. Wenn mich jemand fragt, ist es oft so, als ob der Zugang zu meinem Gedächtnis gesperrt ist. Aber es ist da. Zu antworten fällt mir schwer, am ehesten geht es beim Spazierengehen, wenn ich nicht sehr abgelenkt bin.
Da ihr mein einziges Interesse seid, bin ich gerne in Enns unterwegs. Am liebsten alleine, aber das darf ich noch nicht. Allerdings ist es mir schon einige Male gelungen, zu entwischen. Es gibt so viele Leute, die sich mit mir unterhalten. Das freut mich sehr. Ich habe auch meine Stammgeschäfte. Dort sind die „Kolleginnen“ und „Kollegen“ immer sehr nett zu mir. Ich werde nur nervös, wenn z.B. gerade niemand bei der Kassa sitzt oder bei der Wurstabteilung ist. Das macht mich panisch und deshalb muss ich dann schreien und zwicken. Das tut mir leid.
Ansonsten bin ich fröhlich und friedfertig. Es muss niemand Angst vor mir haben. Wenn ihr nicht wollt, dass ich euch ins Gesicht greife, müsst ihr mir das sagen. Es nützt nichts, wenn meine Eltern mich ermahnen, solange ich von euch kein „Stopp“ höre. Ich habe einen Freund, der nimmt mich oft mit in die Kirche. Der Ablauf dort ist immer gleich, das gefällt mir und beruhigt mich.
Ich bin - wie viele Autisten - etwas eigenwillig, dafür kann ich nichts. Es ist einfach so. Mein Gehirn ist anders konfiguriert. Trotzdem gefällt mir mein Leben und ich habe viel Freude daran - vor allem dank Eurer Zeit für meine vielen Fragen!
Euer Max
PS: Diesen Brief haben meine Eltern geschrieben. Ich kann mich nicht so ausdrücken. Aber er wurde mir vorgelesen und für mich passt das so.
Birgit und Michael Kubik
Enns, 2. April 2018
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