Ich zum Beispiel brauche sehr viel Aufmerksamkeit, Unterstützung, Struktur und Sicherheit. Mein Leben sind meine Fragen sowie eigene und fremde Abläufe. Was mich stresst sind Unsicherheiten. Meine Eltern versuchen aus diesem Grund, Ungewissheiten zu verheimlichen, um mir den Stress zu nehmen. Aber mit meinem sechsten Sinn merke ich sofort, wenn etwas im Busch ist. Neulich versuchten es meine Mutter und mein Bruder sogar mit Englisch. Doch selbst das konnte ich entschlüsseln. Mein Bruder muss sehr viel aushalten, sich an viele Regeln und Strukturen halten, trotzdem ist er immer sehr lieb zu mir.
Ein großer Stressfaktor ist Mamas Handy. Ich muss ständig kontrollieren, ob es etwas Neues gibt. Manchmal bitte ich meine Mutter, das Handy auf den Kasten zu legen, damit ich nicht mehr nachschauen kann. Nur, bald bin ich so groß wie sie und dann wird es schwierig.
So wie mit den Schlüsseln. Meine Eltern waren sehr erschrocken, als ich es vor ein paar Monaten geschafft habe, die Haustür aufzusperren. Sie haben es nur mitbekommen, weil sie gehört haben, wie ich die Autotür zugeschlagen habe. Ich setze mich gerne ins Auto, da gibt es Musik und viele Knöpfe. Als ich mich einmal im Auto eingesperrt und den Autoschlüssel ins Schloss gesteckt habe, wurde meine Mutter nervös. Seither haben wir einen Schlüsselkasten. In diesen werden nun alle Schlüsseln weggesperrt. Ich schaffe es noch nicht, das Nummernschloss zu knacken.
Mein Papa musste eine Latte oberhalb der Brüstung im ersten Stock montieren, da ich oft versucht habe, mich hinaufzusetzen. Ich wollte wissen, ob man da hinunterfallen kann. Die Fenster im ersten Stock werden abgesperrt. Kästen wurden umgestellt, damit ich nicht hinaufklettern und herunterspringen kann, der Gartenzaun wurde erhöht. Ich bin sehr kreativ, meine Eltern zum Glück auch. Ihnen wird nicht langweilig mit mir.
Solange meine vielen Fragen beantwortet werden, mein Tagesablauf eine dichte Struktur hat, Unklarheiten beseitigt sind, die Rollos bei den Nachbarn nicht zu spät hochgezogen werden, Angerufene abheben, keiner etwas sucht, alle pünktlich sind und keine Wartezeiten entstehen, geht es mir gut. Richtig entspannen kann ich mich selten. Am ehesten noch in der heißen Badewanne oder im Freibad. Ich freue mich schon, wenn es wieder aufsperrt. Mein Lieblingsplatz ist oben bei der Kassa, am heißen Boden, in der prallen Sonne und am besten mitten im Weg. So bekomme ich mit wer kommt und wer geht.
Bei mir sei so gar nichts normal, sagt oft meine Mutter. Dabei weiß sie, dass ihre Welt mit meiner nicht wirklich kompatibel ist. Es ist für mich genauso schwierig, mich auf das scheinbar „Normale“ einzustellen. So sind wir halt immer auf Kompromisssuche. Und die lieben Ennserinnen und Ennser helfen uns dabei, indem sie mich so nehmen, wie ich bin. Das ist wunderbar und meine Eltern und ich sind dafür sehr dankbar!
Bis bald wieder in der Stadt,
Euer Max
Geschrieben von Birgit und Michael Kubik
Enns, 2. April 2019
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