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Singen, malen, klatschen und in den Gatsch hüpfen: Für viele kleine Kinder ist es das Normalste auf der Welt. Die Sinne sind hellwach, die Kreativität sprudelt. Im Kindergarten wird vieles davon durch Pädagog/innen ermöglicht und gefördert.
Was brauchen Kinder im 21. Jahrhundert – und was müssen Pädagog/innen mitbringen? Ein Gespräch mit Gerti Pilar, einer vielseitigen Pädagogin, Pionierin und ehemaligen Lehrbeauftragten an der Kunstuniversität Linz.
Die Farben werden mit Fingern auf die Leinwand geklatscht, verschwimmen ineinander. Sie fühlen sich kalt und glitschig an. Fabian malt und mischt Farben und lässt sich durch nichts davon abbringen. Er ist vertieft in sein Tun. Später wird er gemeinsam mit den Kindern aus seiner Gruppe ein Schneemann-Lied singen. Klanghölzer, eine Triangel, ein Xylophon stehen bereit. 1, 2, 3 und schon geht´s los. Die Pädagogin sitzt in der Mitte, sie spielt Gitarre. Zwanzig Kinder singen mit und klatschen, ein paar Kinder bleiben im Turnzimmer und bauen Burgen und Rutschen. Alltag im Kindergarten.
Für Aufsehen sorgte kürzlich ein neuer Entwurf des Bildungsministeriums: Die Verordnung sieht neue Aufnahmekriterien für angehende Elementarpädagog/innen vor.
Künftig sollen Kompetenzüberprüfungen bei musischen, sportlichen und kreativen Fähigkeiten entfallen. Die Prüfungen sollen zeitgemäßer werden und dadurch Hemmschwellen für interessierte Männer wegfallen. Ob das hilft, den geringen Männeranteil im pädagogischen Personal der Kindergärten zu heben, wird nun heftig diskutiert.
Letztlich gehe es viel mehr um höhere Bezahlung, kleinere Gruppengrößen und bessere Arbeitsbedingungen im Kindergarten – das fordern Elementarpädagog/innen schon lange.
Welche Auswirkungen könnte der Wegfall der Kompetenzüberprüfung für die Arbeit im Kindergarten haben?
Gerti Pilar, Pädagogin und Entwicklerin etlicher Projekte zur Förderung und Entfaltung kindlicher Kreativität, hat Sorge, dass diese elementaren Fähigkeiten in Zukunft weniger gefragt sind: „Was Kinder brauchen, ist seit Jahren gleich. Die Umwelt der Kinder verändert sich, dadurch verändern sich auch die Bedingungen, in denen sie aufwachsen. Das Wichtigste ist aber das kindliche Spiel: dass das Kind ohne Gängelung von Erwachsenen mit anderen Kindern spielen kann. Im Spiel ist die Realität anwesend, gleichzeit ist das Spiel Fiktion. Im Spiel lernt das Kind die Unterscheidung.“ Kinder brauchen nicht unendlich viele Spielsachen, fix und fertig hergestellt, entscheidend für Kinder ist das eigene Tun.
„Ein Grundanliegen ist, dass ein Kind ganz bei sich sein kann, sich in etwas vertiefen kann und dabei nicht gestört wird“, sagt Pilar. Hier hat der Kindergarten eine entscheidende Funktion: „Der Kindergarten ist die erste institutionalisierte pädagogische Einrichtung, die wir haben.“
Die Pädagog/innen seien durchwegs gut ausgebildet. Die neue Stoßrichtung des Bildungsministeriums will soziale und kommunikative Fähigkeiten in den Vordergrund rücken. Musik, Sport, Kreativität könnten aus dem Fokus geraten.
Gerti Pilar sagt dazu ganz konkret: „Die Stimme ist wichtig. Wenn nicht mehr gesungen wird, da fehlt etwas im Kindergarten. Die Stimme ist das Urinstrument. Auch die Rhythmik ist wichtig, die Bewegung, das bildnerische Gestalten. Das sind alles Dinge, die die Eigeninitiative fördern, das selbstständige Denken, das Sich-selbst-Organisieren, das Finden von Lösungen.“ Was Bewegung und Sport im Freien betrifft, meint Pilar: „Man kann bei jedem Wetter hinausgehen. Den Kindern gefällt der Regen, ihnen taugt das!“ Die Pädagog/innen sind gefordert, das zu ermöglichen.
Eine enorme Herausforderung sei die Bilderflut, der Kinder durch TV und anderen Medien ausgesetzt sind. „Ein Kind denkt in Bildern. Wichtig ist, ihm nicht vorgefertigte Bilder vorzusetzen. Wenn man zum Beispiel eine Geschichte erzählt, kann das Kind eigene Bilder im Kopf enstehen lassen.
Daher ist es wichtig, nicht nur vorzulesen, sondern auch eigene Geschichten zu erfinden und zu erzählen.“ Das gilt für Männer und für Frauen, die im Kindergarten arbeiten: „Natürlich brauchen wir Männer im Kindergarten, aber die Lösung kann nicht sein, dass man die Aufnahmekriterien nach unten schraubt – eine ordentliche Bezahlung ist wichtig, damit man davon leben kann“, ist für sie ein Lösungsansatz.
Mit Kindern malen, singen, klatschen: Das müsse man auch wollen und bereit sein dafür, fordert sie. Kreativität gilt als Schlüsselqualifikation für erfolgreiche Bildung: „Sie ist die Fähigkeit, neue Zusammenhänge aufzuzeigen, bestehende Normen sinnvoll zu verändern und damit zur allgemeinen Problemlösung in der gesellschaftlichen Realität beizutragen“, erklärt etwa Günter Wollschläger in seinem Klassiker „Kreativität und Gesellschaft“. Der Grundstein dafür wird auch im Kindergarten gelegt. Immer noch. «
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