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Rituale helfen uns, durch den Tag, durchs Jahr und durchs Leben zu kommen. Ein Ritual ist etwas anderes als eine Gewohnheit, betont Ritualgestalterin Johanna Neußl, die Referentin beim Work-shop „Rituale feiern – Rituale gestalten“ der Katholischen Frauenbewegung in Linz sein wird: „Ein Glas Wein am Abend zu trinken ist nicht gleich ein Ritual, weil der Symbolgehalt fehlt.
Wenn ich zum Beispiel darüber nachdenke, was mir der Tag Gutes gebracht hat, und ich mit einer Haltung der Dankbarkeit das Glas trinke, ist es ein Ritual mit Symbolgehalt.“ Unsere Seele liebt Bilder mehr als Worte, sagt Neußl: „Im symbolhaften Tun entsteht ein Bild, das der Seele eine Botschaft schickt und eine Aussage bekräftigt. Insofern denke ich, sind wir Menschen mit einer Sehnsucht ausgestattet, besondere Momente zu erleben, die oft mit symbolhaftem Tun verbunden sind.“
Es gibt verschiedene Arten von Ritualen, sagt Johanna Neußl: Alltagsrituale, Rituale im Jahreskreis, Rituale an einem Lebensübergang und thematische Rituale. Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil die Wirkung jeweils eine andere ist, erklärt sie: „Alltagsrituale gewinnen ihre Kraft aus der Wiederholung. Die Rituale im Jahreskreis gehen fast immer von Naturerscheinungen aus, bei uns sind das die Jahreszeiten. Sie helfen uns, uns mit der Natur in Verbindung zu bringen.“ Lebensübergangsrituale wiederum schöpfen ihre Kraft aus der Einzigartigkeit und markieren oder verstärken einen Übergang. „Das ist zum Beispiel bei einer Taufe der Fall – jede Religion oder Kultur nutzt solche Rituale, um dem Kind einen Namen zu geben, es in die Gemeinschaft aufzunehmen und unter einen gewissen Schutz zu stellen.“ Lebensübergangsrituale haben kulturübergreifend die gleiche Grundstruktur – der Abschied von der alten Phase und die Verwandlung in etwas Neues. Beim thematischen Ritual wird, wie der Name schon sagt, ein bestimmtes Thema einmalig in den Mittelpunkt gestellt.
Die große Kraft von Ritualen liege laut Neußl darin, dass sie imstande sind, uns ein Gefühl der Verbundenheit zu geben. Dies geschieht auf drei Ebenen: als Verbundenheit zu mir selbst, als Verbundenheit mit der Gemeinschaft und als Verbundenheit mit etwas Transzendentem. Christliche Ritualgestaltung ist in sich schon so angelegt, dass zu dem Trans-zendenten ein Bezug hergestellt wird – eine Verbindung zwischen Mensch und Gott.
Werden Alltagsrituale selbst gestaltet, ist es sehr wichtig, dass es wenig Vorbereitungszeit und Material braucht. Zuerst sollte die Absicht festgelegt werden, die man mit dem Ritual verfolgen möchte. „Möchte ich in der Früh einen Moment der Besinnung schaffen, um mich auf den Tag einzustellen, oder am Ende des Tages diesen dankbar abschließen?“, gibt Neußl eine Anregung. Das Ritual sollte für einen persönlich stimmig sein – hier sind oft Gesten sehr hilfreich. „Eine Geste ist Symbol und symbolische Handlung in einem“, sagt Neußl. „Ich kann beispielsweise die Hände zur Schale formen und mir vorstellen, dass dort alles drin ist, was schön war an dem Tag. Dann führe ich diese zum Herzen und spreche einen Satz dazu, etwa: Ich bin dankbar dafür, was mir an diesem Tag geschenkt wurde.“
Dass ausgerechnet der Advent mit so vielen Ritualen angefüllt ist, sei kein Wunder, sagt Johanna Neußl: „Das liegt daran, dass es die dunkelste Zeit ist. Früher war das auch eine bedrohliche Zeit. Im Winter brauchte man die Gemeinschaft noch mehr, um sich gegenseitig zu bestärken, Zuversicht zu schenken und Hoffnung zu schöpfen. „Weihnachten ist die Geburt des Lichts. Nicht nur Jesus wird geboren, sondern auch die Natur kehrt um und es wird wieder hell.“ Neußl möchte anregen, mit Ritualen zu experimentieren und für sich und/oder die Familie etwas zu finden, was für einen und/oder sie stimmig ist. Man kann sich dabei von vertrauten Elementen inspirieren lassen (Kerzen, Adventkranz, Adventgeschichten vorlesen, gemeinsames Basteln oder Backen).
Auch wenn Rituale unseren gesellschaftlichen Dynamiken ausgeliefert seien und die Bedeutung oft der Oberflächlichkeit zum Opfer fällt, nimmt Neußl großes Interesse an rituellem Tun wahr. Manche Pfarren überlegen sich entsprechende Angebote, um diese in ihrer Lebenswelt abzuholen: In Vorarlberg oder der Diözese Graz-Seckau gebe es etwa den Tag der Liebenden, „gestaltet in wunderschönen religiösen Formen“, beschreibt Neußl. Frauengruppen, Reisen für verheiratete Paare oder Jahresfestkreisgruppen sind weitere Angebote, die es in verschiedenen Pfarren gibt. Jahresfestkreisgruppen für Familien mit Kindern finden etwa in der Pfarre Wels-St. Franziskus statt. Beim Angebot der Einrichtung SPIEGEL-Elternbildung geht es darum, Religion besser zu verstehen und mit allen Sinnen zu erleben. Es gibt dabei ein immer gleichbleibendes Begrüßungsritual, und zum jeweiligen Fest werden passende Bibeltexte und Geschichten herausgesucht. Zudem gibt es verschiedene Stationen, an denen Eltern mit den Kindern etwas erleben können (Krippe basteln, aus einer Wühlschale Gegenstände herausholen, Glocken klingeln lassen, u. v. m.). Das Konzept soll auch Impuls für andere Pfarren sein.
Workshop „Rituale feiern – Rituale selbst gestalten“,
26.–28. 2.,
Stift St. Florian, Anm. bis 9. 2.,
weiterbildung.katholischesbildungswerk@dioezese-linz.at,
0732 7610 3209
Ausbildung für Ritualbegleiter:innen,
Ausbildungen der Akademie für Ritualgestaltung,
www.rituale-akademie.net
Rituale sind bewusst gesetzte, absichtsvolle symbolische Handlungen, die eine Botschaft an unser Innerstes mit Hilfe von Bildern und Symbolen senden. Dabei wird mit Achtsamkeit und Ernsthaftigkeit eine Atmosphäre des Besonderen geschaffen.
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