REZEPT_
Auch ich nehme meine alljährliche Übung wieder auf und verzichte auf die süßen Naschereien, die meine Hauptmahlzeit gerne mal abrunden oder gar als Seelenschmeichler dienen sollen.
Seit Jahren achte ich in der Fastenzeit auf meinen Süßigkeitenkonsum. Während ich in den ersten Jahren vor allem auf purzelnde Kilos hoffte, erinnert mich die Fastenzeit heute daran, durch bewusstes Verzichten Gewohnheiten zu überdenken. Entgegen so manch gängiger Vorstellung geht es beim Fasten nicht darum, sich zu kasteien. Im Vordergrund steht ein Bewusstmachen von alltäglichen Verhaltensmustern, ein achtsamer Umgang mit sich selbst, mit anderen, mit der Welt und ein Innehalten, das uns zu neuer Lebendigkeit führen kann.
Religiöse Traditionen sehen dafür unterschiedliche Zeiten im Jahr vor, um einen Weg nach innen zu gestalten und Achtsamkeit in unseren Beziehungen zu üben. An Aktualität haben diese Übungen keineswegs verloren. Zumindest erweckt unter anderem der gegenwärtige Trend des Selbstmanagements diesen Eindruck. In Ratgebern ist zu lesen, dass es wesentlich ist, den eigenen Gewohnheiten Aufmerksamkeit zu schenken und diese zu überdenken oder zu verändern. Denn durch unsere Gewohnheiten gestaltet sich schlussendlich unser Leben – Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. So schaffen gewohnte Tagesabläufe, Rituale oder Verhaltensformen Erleichterung, weil sie uns Entscheidungen abnehmen. Gleichzeitig schmälert Gewohntes unsere Wahrnehmung und entfernt uns unter Umständen von uns selbst.
Welchen Weg wir auch wählen – die religiös motivierte Fastenzeit oder die am Selbstmanagement orientierte Begleitung –, es wird damit die Erfahrung einhergehen, dass es sinnvoll ist, alltägliche Verhaltensmuster zu überdenken und auf so manches zu verzichten. Letztendlich sind die eigenen Ge-wohn-heiten gewissermaßen die Art, wie wir uns in unserem Alltag eingerichtet haben – die Innen- und Außeneinrichtung des Lebens. Manches sollte vielleicht wieder entstaubt werden. Für anderes, was uns im Weg steht, lässt sich möglicherweise ein besserer Platz finden und es können neue Räume geschaffen werden. Die vierzig Tage der Fastenzeit laden jedenfalls dazu ein.
REZEPT_
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>