Wort zum Sonntag
Selbst der als volksnah geltende Papst Johannes XXIII. wurde von zwölf Männern in den Petersdom getragen, während er auf der „Sedia gestatoria“, einer reich verzierten Sänfte, thronte. Der Überlieferung nach fühlte er sich dabei nicht wohl, aber es gehörte nun einmal zum Papstsein. Johannes Paul I. war der Letzte, der diese Zeremonie (1978) widerwillig mitmachte. Die Tiara, die päpstliche Dreifachkrone als Zeichen der weltlichen Macht des Kirchenoberhaupts, war bereits mit Paul VI. abgekommen, der sich 1963 als letzter Papst mit einer Tiara krönen ließ, sie im Jahr darauf verkaufte und den Erlös spendete.
Nicht erst seit der Wahl Jorge Mario Bergoglios zu Papst Franziskus im Jahr 2013 verändert sich also der Gebrauch der Symbole, die die Würde des Papstamtes unterstreichen sollen. Dennoch war das Auftreten des 266. Bischofs von Rom von Anfang an zahlreiche Nachrichten wert. Die Öffentlichkeit wunderte sich am laufenden Band: Dass Franziskus (oder sollte man „Franz I.“ sagen?) nach seiner Wahl zum Papst in den Shuttlebus mit anderen Kardinälen stieg, statt sich in der vorbereiteten Limousine fahren zu lassen. Dass er seine lederne Aktentasche selber tragen wollte. Dass er sich aus Anlass seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt keine neuen Schuhe kaufen, geschweige denn machen lassen wollte, sondern bei seinen erzbischöflichen Schnürschuhen blieb. Dass er nicht in den Apostolischen Palast zog, sondern im Gästehaus unter Leuten bleiben wollte. Dass er, wenn es ihm einfiel, mit Menschen telefonierte, mit denen er reden wollte. Der Papst hat es wieder getan! Er hat jemanden angerufen! Dinge, die für einen Menschen sowohl in Buenos Aires als auch in Rom pure Selbstverständlichkeiten sind. Nicht jedoch für einen Papst, von dem man schließlich erwartete, dass er seine Persönlichkeit zugunsten der Rolle zurückstellte. Dieser Erwartung ordnete sich Franziskus nicht unter. Und das nicht nur, weil er der Souverän über sein Leben und seine Entscheidungen bleiben wollte. Im Rückspiegel betrachtet hatte er eine Mission: das Papstamt von seiner Überhöhung, von seiner Entmenschlichung, von seiner starren Rolle zu befreien.
Auch Johannes XXIII. hatte sich diese Freiheit immer wieder herausgenommen, wenn er Witze machte, selbstironische Bemerkungen fallen ließ oder von seiner bäuerlichen Herkunft erzählte. Das über viele Jahrhunderte aufgebaute Korsett der rituellen Erwartungen an einen Papst aufzubrechen, ist aber ein langsamer Prozess. Denn eines gilt es zu bedenken: Viele Menschen lieben den „Zauber“ eines hohen Amtes, ob es der Zauber einer Königin ist (deren Leiden am starren Hofstaat man dann in einschlägigen Illustrierten mitverfolgen möchte) oder der eines Papstes. An der Aura des Besonderen, Exotischen möchte man mitnaschen. Franziskus wollte in erster Linie Mensch bleiben, sich nicht vom „Hofstaat“ bestimmen lassen. Was den „Hofstaat“ auch regelmäßig nervös machte. Wenn Erzbischof Georg Gänswein kurz vor Franziskusʼ Tod im Interview mit „Bild am Sonntag“ erinnert, er sei „praktisch vom Hof gejagt“ worden, beinhaltet das ein Verständnis des Vatikans als (Herrscher-)Hof.
Papst Franziskus wollte kein höfisches Leben im Vatikan. Und er wollte den übermenschlichen Zauber, der auf dem Papstamt liegt, zerstören. Keinesfalls zu verwechseln mit der Würde des Amtes! Die Würde des Amtes speist sich erstens aus der Menschenwürde und zweitens aus der Integrität und Authentizität, mit der ein Mensch das Amt ausübt. Die umgekehrte Richtung ist brandgefährlich – wenn sich die Würde eines Menschen aus seinem oder ihrem Amt speist. Denn dann wird das Amt zu einem „Schutzmantel“, hinter dem die Persönlichkeit verschwindet. Hinter dem Schutzmantel verbirgt sich nicht nur die Individualität, sondern verbergen sich auch Schwächen und Fehler, bis hin zur sexuellen Ausbeutung anvertrauter Personen. Wo der Schutzmantel des Amtes Kleriker (und andere Amtsträger:innen) umgibt, lauert die Gefahr des Amtsmissbrauchs und dessen Vertuschung. So gesehen hat Papst Franziskus noch viel mehr gegen Missbrauch unternommen als strukturell wahrgenommen wird. Indem er „Klerikalismus“ (verstanden als Überhöhung des geistlichen Amtes) unermüdlich angeprangert und sich selbst unbeirrbar bemüht hat, trotz der starren Rollenerwartungen Mensch zu bleiben, hat er Missbrauchsprävention von der Wurzel her gepflegt. Möge seine erfrischende Art die Menschen (inklusive Kleriker) nicht nur unterhalten, sondern inspirieren, selbst authentisch und aufrichtig zu leben.
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