Elisabeth Wertz ist Religionslehrerin und Pastoralassistentin im Südburgenland (derzeit in Elternkarenz).
„Lauter Selbstverständlichkeiten“ seien es, die man in der Erklärung „Dignitatis Humanae“ liest, schrieb der Konzilsexperte Otto Hermann Pesch 1993: die Anerkennung von Religions- und Gewissensfreiheit, die Forderung nach dem Schutz unverletzlicher Menschenrechte, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz – so ein kleiner Auszug. Alles Selbstverständlichkeiten, auch 2025?
Man kann die Bedeutung des letzten auf dem Konzil verabschiedeten Texts nicht hoch genug einschätzen, gerade in unseren Tagen.
In der Enzyklika „Mirari Vos“ (1832) bezeichnete Papst Gregor XVI. die Forderung nach Gewissensfreiheit als „widersinnige und irrige Auffassung bzw. vielmehr Wahn“. Pius IX. verurteilte im „Syllabus Errorum“ (1864) Gewissens- und Religionsfreiheit. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil galt die Überzeugung: Da die katholische Kirche im Besitz der vollen Wahrheit ist, muss ein Staat dieser Kirche Sonderrechte einräumen und irrige Lehren unterbinden. Sind die Katholiken in der Minderheit, muss der Staat der katholischen Kirche volle Freiheit einräumen. Alles für die katholische Kirche, wenn sie selbst in der Minderheit ist, aber keine Freiheit für andere Minderheiten, sobald die katholische Kirche die Mehrheit übernommen hat oder der Staat zu einem „katholischen Staat“ geworden ist. Die harmonische Einheit von Staat und Kirche war das Ideal.
Aber bereits im 19. Jahrhundert, als die Päpste noch gegen Religions- und Gewissensfreiheit schrieben, erhob John Henry Kardinal Newman, seit 1. November 2025 Kirchenlehrer, seine Stimme für die Freiheit des Gewissens und des Glaubens. Beide seien wichtiger als der absolute Gehorsam. In den USA erlebten Katholikinnen und Katholiken die Vorteile einer Trennung von Staat und Kirche. Religions- und Gewissensfreiheit erfuhren sie als Chance. In Europa hingegen war die Lage anders. Die kommunistischen Regime zur Zeit des Konzils bekämpften Religion massiv, und Katholik:innen sehnten sich nach Freiheit.
Vor allem Bischöfe aus den USA und den kommunistisch regierten Ländern setzten sich für Religions- und Gewissensfreiheit ein. Der US-Jesuit John Courtney Murray gilt als zentrale Stimme, auch Kardinal Franz König leistete wichtige Überzeugungsarbeit. Die Textvorlagen für „Dignitatis Humanae“ auf dem Konzil waren hoch umstritten. Es reicht an ein Wunder, dass der Text doch noch in der letzten Sitzung, am 7. Dezember 1965, verabschiedet wurde. Damit stand auch von römisch-katholischer Seite fest: „Staatlich garantierte Religionsfreiheit ist keine Zumutung, sondern eine Ermutigung für Glaubensgemeinschaften, weil Glaube und Freiheit zwei Seiten eines Vollzugs darstellen“, erklärt der Fundamentaltheologe Roman Siebenrock.
Religions- und Gewissensfreiheit sind die Grundlagen einer echten Friedens- und Freiheitsordnung. Wo Institutionen in die innere Freiheit von Menschen eingreifen oder weltliche Organe als Erlöser auftreten, ist Gefahr im Verzug. Das Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat sowie die Freiheit, nach dem eigenen Gewissen zu handeln (Dignitatis Humanae Nr. 2). Was heißt das? Religions- und Gewissensfreiheit sind keine Erfindung oder ein großzügiges Geschenk eines Staates, das einmal gewährt wird und dann wieder nicht. Nein – jeder Mensch besitzt eine unverlierbare Würde als menschliche Person, die durch die Schrift und die Vernunft erkannt werden kann. Diese Würde verpflichtet Staat und Gesellschaft darauf, Religions- und Gewissensfreiheit in konkretes Recht umzusetzen und so den Rahmen zu schaffen für ein würdevolles Leben aller.
Natürlich gibt es eine Wahrheit, und jeder Mensch ist dazu aufgerufen, nach der Wahrheit zu suchen. Aber die Wahrheit kann nur in Freiheit erkannt werden. Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind für die Konzilsväter die zentralen Grundlagen gelingenden Zusammenlebens. Welche Rolle die Kirche für sich selbst sieht, wird in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ deutlich. Sie ist an kein politisches System gebunden, sondern „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ (Nr. 76). Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft tritt ein für die Glaubens- und Gewissensfreiheit aller Menschen, nicht nur für die eigene Klientel. So wurde die katholische Kirche nach einer langen Lerngeschichte zur Anwältin der Religions- und Gewissensfreiheit. Ihre Dienste an der Menschheit sind 60 Jahre nach Konzilsende dringend notwendig.
Am 8. Dezember 1965 kam das Zweite Vatikanische Konzil zum feierlichen Abschluss. Es war die größte Kirchenversammlung der Geschichte und das 21. ökumenische Konzil der katholischen Kirche.
Drei Jahre lang hatten 2.850 Konzilsväter um Reformen in der Kirche gerungen. Der Wunsch nach Überwindung festgefahrener Traditionen bestimmte die Dynamik der Beratungen. Das Ergebnis waren 16 Dokumente, deren Verständnis und Verwirklichung nach wie vor in Bewegung ist: zwei dogmatische und zwei pastorale Konstitutionen, neun Dekrete und drei Erklärungen.
In diesen Dokumenten definierte die Kirche ihr eigenes Selbstverständnis neu, sie klärte ihre Haltung zur Welt, reformierte die Liturgie, bekannte sich zur Religionsfreiheit und richtete ihr Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen neu aus. Elf der 16 Konzilsdokumente wurden in der Schlussphase zwischen 28. Oktober und 7. Dezember 1965 veröffentlicht, darunter Texte, die das Selbstverständnis der Kirche wesentlich veränderten, wie „Dignitatis Humanae“.
Die Erklärung „Dignitatis Humanae“ über die Religionsfreiheit verwies auf die Würde jedes einzelnen Menschen und sprach allen das Recht zu, ihre Religion frei nach dem eigenen Gewissen zu wählen. Gleichwohl betonte das Konzil die Überzeugung, dass die „einzig wahre Religion“ verwirklicht sei „in der katholischen, apostolischen Kirche“.
Die Erklärung „Nostra Aetate“ klärte das Verhältnis der römischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Das Dokument betont das Verbindende mit den anderen Religionen. Die katholische Kirche, so heißt es, lehne nichts von dem ab, was in den Religionen „wahr und heilig“ sei.
Die Konstitution „Gaudium et Spes“ bestimmte die Position der „Kirche in der Welt von heute“ neu. Wichtige Themen darin sind das Verhältnis von Rüstung, Angriffskrieg und Selbstverteidigung, eine Verurteilung des kommunistischen Atheismus sowie eine Verbindung von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt mit Solidarität.
Die Konstitution „Dei Verbum“ über die göttliche Offenbarung bahnte mit der Zulassung der historisch-kritischen Auslegung einem neuen wissenschaftlichen Umgang mit der Bibel den Weg.
Die Betonung der bischöflichen Kollegialität schuf im Dekret „Christus Dominus“ ein Gegengewicht zur Definition des päpstlichen Primats beim Ersten Vatikanum (1870/71).

Elisabeth Wertz ist Religionslehrerin und Pastoralassistentin im Südburgenland (derzeit in Elternkarenz).
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>