Wort zum Sonntag
Ihren Beziehungsstatus zur katholischen Kirche beschreiben Sie als „kompliziert“. War das immer schon so?
Christiane Florin: Nein. Ich bin in einem katholischen Dorf im Rheinland aufgewachsen, die Kirche war ein selbstverständlicher Teil meines Lebens. Ich besuchte eine katholische Mädchenschule, war in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert und habe daran sehr gute Erinnerungen. Es war nach dem Konzil, eine Zeit der Liberalität, des Ausprobierens. Bis zum Studium habe ich mich sehr engagiert, wollte die Welt ein Stückchen besser machen, etwas Sinnvolles tun. Sicher verkläre ich da im Rückblick einiges. Aber ich bin nicht nostalgisch, ich weiß: Diese Zeit kommt nicht zurück.
Wodurch ist es dann „kompliziert“ geworden?
Florin: Als ich begann, mit journalistischen Kriterien an die Institution heranzugehen. Die sexualisierte Gewalt in der Kirche war ein Augenöffner. Ich sehe die Kirche seitdem mehr vom Standpunkt der professionellen Beobachterin aus – und denke mir: Jemand muss etwas sagen. Zugleich weiß ich, diese Kirche ist Teil meines Lebens, ich will sie noch nicht aufgeben. Ich suche die Auseinandersetzung, auch wenn ich die Kirche nicht einfach ändern kann. Ich will sie nicht den Autoritären überlassen, die im Machtsystem Kirche strukturell bevorzugt sind. Dazu kommt: Kirche ist ja keine bloße Ansammlung von Glaubenssätzen, sondern immer auch etwas Gefühliges: Heimat, Zugehörigkeit, eine Art „Zungenschlag“, der identitätsstiftend ist. Deswegen könnte ich auch nicht austreten. Es würde sich angesichts der Missstände wie ein „Davonstehlen“ anfühlen.
Sie schreiben, dass Sie mehr in der Bibel lesen als früher. Warum? Haben Sie eine Lieblingsstelle?
Florin: Bei Gesprächen und Diskussionen erlebe ich oft, dass die Luft dünn wird, wenn es um den Glauben an sich geht. Es ist wichtig darüber zu sprechen, jenseits institutioneller Kritik. Eine dezidierte Lieblingsstelle habe ich nicht, aber ich mag die sperrigen Stellen, die dem sanften Jesus-Bild widersprechen: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Auch die Gleichnisse mag ich sehr, sie sind ein Teil meiner Kindheit. Ich lese sie immer wieder anders, wie sich vielleicht Pianisten immer wieder die Beethoven-Sonaten vornehmen. An den Gleichnissen fasziniert mich, dass es nicht heißt „es ist so und so …“ sondern z. B. „mit dem Himmelreich ist es wie …“. Wichtig ist mir auch der Aufruf Jesu: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Kritik an Machtmissbrauch ist für mich zentral. Wichtig ist für mich auch, was nicht in der Bibel steht: Jesus hat nicht die Unterordnung oder Minderwertigkeit der Frau gepredigt, er hat auch keine Männer zu Priestern geweiht.
Sie kritisieren viel in Ihrem neuen Buch. Welches Verhalten ist für Katholik/innen Ihrer Meinung nach überhaupt angebracht?
Florin: Katholisch sein heißt nicht, in blindem Gehorsam zu leben. Es ist wichtig, den Widerspruchsgeist wachzuhalten und sich einzumischen, sich keine Angst machen zu lassen, sondern sich zu überlegen: Wo kann ich begründet widersprechen? Kritik an der Kirche ist kein Kirchenhass! Systemkritik ist allerdings leider auch ein Teil des Systems.
Was macht Ihnen trotz allem Hoffnung in Bezug auf die Situation der Kirche?
Florin: Dass sich die katholische Kirche von oben reformiert, durch den Papst oder die Bischöfe, glaube ich nicht. Aber es verändert eine Institution, wenn sich die Menschen ihrer Macht entziehen, wenn sie widersprechen, sich eigene Gedanken machen. Würde ich in der Kirche keine Menschen mehr finden, mit denen ich mich ernsthaft darüber austauschen kann, was wir glauben und was nicht, was auf dem Sterbebett zählt und was nicht, dann wäre ich weg.
Was trägt Sie persönlich im Glauben?
Florin: Viele Fragen. Ich frage mich, wie ich’s mit den Werken der Barmherzigkeit halte. Besuche ich Kranke? Oder gestehe ich mir ehrlich ein, dass ich nicht so leicht glauben kann wie andere? Mich trägt auch meine Familie, eine gute Beziehung, die Liebe – die ich genauso wenig erklären kann wie den Glauben. Die Liebe ist für mich ein Beweis dafür, dass es jenseits des Mess- und Sichtbaren etwas gibt.
Was wünschen Sie der katholischen Kirche?
Florin: Dass sie aus ihren Mustern ausbrechen und sich so erneuern kann.
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