Wort zum Sonntag
Die Auferstehung Jesu von den Toten ist oft schwer nachvollziehbar. Welche Bedeutung hat Ostern in Bezug auf unser Leben heute?
Rotraud A. Perner: Für mich steht das gesamte Christentum im Zeichen der „Wandlung“ – und diese verstehe ich als Mysterium, durchaus auch analog zu anderen antiken Hochreligionen: Alles, was lebt, ist in Bewegung – denken wir nur an die permanente Aktivität unserer Körperorgane, unserer Beziehungen, unserer Gedanken ... Jesus hat Menschen zu Wandlungen verholfen, denn jede Heilung ist eine Wandlung, so wie auch jede Verschlechterung. Manches davon haben wir selbst zu verantworten – manches wird uns zugefügt.
Die Jünger um Jesus waren hoffnungsvoll; sie haben viele Wunder erlebt. Am Karfreitag wird diese Hoffnung zunächst im Keim erstickt, als Jesus gefangengenommen, gefoltert, gekreuzigt wird. Die Jünger sind bestürzt und haben Angst. Wie kann das gedeutet werden auf das reale Leben?
Perner: In meiner psychotherapeutischen Arbeit stehe ich tagtäglich in Beziehung mit Menschen, denen Unrecht zugefügt wurde: denen in Erziehung oder Beruf bewusst Entfaltungsmöglichkeiten genommen werden bzw. wurden, die Psychoterror erdulden müssen, Hass und Verleumdungen in den neuen Medien oder auch live, und die sozial gemordet werden. Heute wird gefordert, dass man mit allerlei Tricks aus solchen Situationen als Sieger, besonders aber auch als Siegerin hervorgehen und andere mit seinem, ihrem Leid nicht belästigen soll, und besonders erwarten dies diejenigen, die einen bewundern – z. B. die Eltern oder andere Vorbildpersonen. Genau dann stellt sich oft die Frage, die Perspektive der Wandlung: dulden oder kämpfen? Und die Realitätssicht: in beiden Fällen bleibt man verletzt, geschwächt, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar vernichtet übrig.
Vorbilder sind hier also ganz zentral?
Perner: Die Forderung, der „Held“, die „Heldin“ möge siegreich überleben, entspringt unserer Liebe zu Vorbildern: sie geben uns Anstoß und Beispiel – aber nicht nur fürs Siegen, und das schon gar nicht im Christentum, sondern auch für das Sich-hinein-Fügen in das eigene Schicksal; und dieses kann man auch als Aufgabe, Lernaufgabe deuten. Ein König – eine Königin –, deren „Reich“ nicht von „dieser“ nämlich unserer Alltagswelt mit ihren Revierkämpfen und Herrschaftsgelüsten ist, wird möglichst in Würde in den Tod gehen und damit zur Erkenntnis der erschreckenden Wahrheit bringen, wer wie Sünde und Schuld auf sich geladen hat. In diesem Sinn verstehe ich die Sündenübernahme: Jesus erspart der Menschheit dieses Erschrecken keineswegs – sonst würde diese ja nichts lernen. Schonung verhindert Wandlung.
Wie können schwierige Zeiten des Leids, der Angst, der Trauer, in denen wir den Glauben und die Hoffnung verloren haben, überwunden werden? Was braucht es, um an die „Auferstehung“ zu glauben bzw. um aufzustehen?
Perner: Das Erleben von Tiefpunkten ist immer der potenzielle Wendepunkt zu etwas künftigen Anderem. Daher sollte man sie nicht fliehen, sondern zur Besinnung nutzen und – seelisch durchleiden. Wir alle wissen aus unserer Kindheit, wie es schmerzt, wenn eine offene Wunde zu heilen beginnt, wie das juckt, und wie wir dann an den Krusten kratzen, statt diese Empfindung, dass sich etwas Altes löst und etwas Neues entsteht, zu ertragen. Ähnliches geschieht ja auch, wenn man intensiv fastet: man reinigt sich innerlich, meist nur körperlich; hingegen geistig wäre das eine Gelegenheit, loszulassen und zu vergeben und nicht: „Dir werd‘ ich’s noch geben!“. Loslassen kann freudig sein oder voll Trauer – meist dauert das und ist ein wechselhafter Prozess wie jede Traumabewältigung – und für beides braucht man wiederum Vorbilder. Das sehe ich als das Eigentliche im Passions- wie im Ostergeheimnis.
Jesus hat durch seinen Tod die Sünden der Menschen auf sich genommen. Durch sein Opfer hat er die Menschen befreit. Wie ist das psychologisch zu verstehen? Welches Ziel wird daraus für uns ersichtlich?
Perner: Wir interpretieren die Evangelien und all das, was sich später religiöse Experten – Paulus mitgemeint – dazu gedacht haben, nach unseren weltlichen „Wörterbüchern“. Die Autoren haben „ihre“ Empfindungen und „ihre“ Sichtweisen in „ihre“ Sprache gebracht. Wenn wir das einfach übernehmen, vermeiden wir Lebendigkeit. Ich meine, wir müssen das Leiden Jesu mit unserem Leben – aber auch mit dem Leiden anderer, derer in der Nähe und derer in weiter Ferne – in Beziehung setzen.
Papst Franziskus hat zu Aschermittwoch das Gleichnis vom Samenkorn erwähnt: Jesus sei wie das Senfkorn, das sterbe, um neue Frucht zu bringen. Auf den Karfreitag folge die Auferstehung. Die Erlösung – erfordert sie einen Wandel in uns? Müssen wir, bevor wir zur Freude, zum Licht, zur Hoffnung gelangen, erst „sterben“, um zu leben?
Perner: Dieses symbolische Gleichnis finde ich sehr zutreffend: durch eine Erwachsenentaufe wird man als Christ neu geboren – deswegen ja auch das Untertauchen des ganzen Körpers bei den Baptisten quasi als Auftauchen aus dem mütterlichen Fruchtwasser. Die österlichen Traditionen bieten Anlass zur christlichen Erneuerung, der Wandlung von Verzweiflung und Trauer in Zuversicht und Liebe. Gott ist Liebe – und die Herzöffnung in der Liebe gleicht auch der Herzleere in der Trauer. Jedem Neubeginn geht ein Sterben von Altem voran, manchmal körperlich, manchmal seelisch, manchmal geistig.
Kann der Glaube wirklich Berge versetzen? Wie würden Sie das deuten?
Perner: Selbstverständlich kann Glaube das. Wenn man das Herz weitet, weiten sich auch die Wahrnehmungskanäle und die Erfahrungen – ohne Drogen! Deswegen mahnt Paulus ja immer wieder, wir sollen in der Liebe bleiben und unser Herz nicht in Hass, Neid oder Zorn verengen.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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