Der Gedenkstein der Heimatvertriebenen auf dem Linzer Pöstlingberg erinnert an die Vertreibung.
In Fortsetzung der Diskussion der Benes-Dekrete bringen wir die Position von Dr. Ernst Waldstein-Wartenberg, Obmann der Österreichischen Klemensgemeinde und Ehrenpräsident des Katholischen Laienrats:
Herrn Dipl.-Ing. Talír Sichtweise der Benes-Dekrete ist vom ehrlichen Wunsch einer dialogischen Lösung geprägt. Mein Beitrag soll dem gleichfalls dienen. Historische Zusammenhänge sind für ein Verständnis wichtig; Aber wo soll man beginnen? – 1938 oder schon 1918 bei der Entstehung der CSR? Oder noch früher, als 1867 den Ungarn gewährt wurde, was die Tschechen nicht bekamen. Oder gar im Dreißigjährigen Krieg? Jedes Ereignis hat seine Ursachen in Vorangegangenem, kann aber damit niemals Unrecht rechtfertigen.Die Sudetendeutsche Partei wandte sich erst nach 1936 Hitler zu. Die Rechtfertigung der Vertreibung der Deutschen mit einer Vertreibung von Tschechen 1938 geht an der Realität vorbei: Von etwa 500.000 nach 1918 in die Randgebiete gezogenen Tschechen (Beamte, Industriearbeiter, Militär usw.) sind etwa 400.000 unter Zurücklassung von keineswegs konfisziertem Besitz ins Landesinnere zurückgekehrt.Ein Problem liegt im Prinzip der Kollektivschuld. Die Alliierten haben diese schon bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verlassen – während Ziel der Benes-Dekrete die „ethnische Säuberung“ war, die bei Anwendung des Individualprinzips nicht erreichbar gewesen wäre. Die Vertreibung wurde im Wege der Verwaltung gleich nach dem Kriegsende vorbereitet. Dass die „Postupim-Vereinbarungen“ (Konferenz von Potsdam) die Vertreibung zuvor genehmigt hätten, ist falsch. Die Konferenz fand Ende Juli/Anfang August statt, als schon etwa 600.000 Deutsche grausam vertrieben waren. Die Konferenz verlangte nur eine menschlichere Vorgangsweise.
Illusionen
Die Vergangenheit ausklammern zu wollen, ist genauso Illusion wie eine bis 1945 rückwirkende Ungültigerklärung der Dekrete. Sie sind seit der Unterzeichnung der Menschenrechts-Charta durch die Tschechoslowakei nicht mehr neu anwendbares Recht. Bei der Behandlung davor liegender Rechtsakte wird man sie aber noch anwenden müssen – nur „mit heutigen Augen“ betrachtet. Das heißt weitestgehende Anwendung des Individualschuld-Prinzips, also eine weitherzige Auslegung der Ausnahmebestimmungen (die die Benes-Dekrete für um das Land besonders verdiente Menschen kennen) und genaue Überprüfung des Verfahrens der Konfiskation. Namhafte tschechische Juristen schätzen, dass etwa vierzig Prozent der Beschlagnahmungen nach dem Dekret Nr. 12 nicht rechtsgültig erfolgt sind; heute können sie nachträglich nicht mehr abgeschlossen werden.
Gemeinsam aufarbeiten
Zehn Jahre nach der Wende gibt es in Tschechien immer mehr – vor allem jüngere – Menschen, die eine gemeinsame Aufarbeitung von Unrecht auf allen Seiten anstreben. Nur so können wir in eine gedeihliche Zukunft gehen.
Dr. Ernst Waldstein-Wartenberg
STICHWORT
Klemensgemeinde
„Die Klemensgemeinde ist die kleine österreichische Schwester der deutschen Ackermann-Gemeinde“, sagt Dr. Ernst Waldstein.
Katholische Heimatvertriebene gründeten sie. Ein altes Epos „Der Ackermann in Böhmen“ (Tschechen und Deutsche leben gut zusammen) bzw. Klemens Maria Hofbauer stehen hinter den Namen.
Kein Hass, keine Vergeltung, raus aus der Spirale – ist seit 1946 Motto der Arbeit.