Ausgabe: 2002/23, Kommentar, Ermordung, Erzbischof, Politik, Gefahr;
05.06.2002
„El Calvo“ schweigt
Die Ermordung des Erzbischofs von Cali, Isaías Duarte, ist seit vergangener Woche ein typisch kolumbianischer Fall: quasi jeder Mord bleibt ungeklärt. Zwar hatten die Behörden im Lichte weltweiter Aufmerksamkeit nach dem Attentat angekündigt, alles zur Aufklärung zu unternehmen. Doch der mutmaßliche Mörder schweigt: Carlos Augusto Ramirez wurde am Donnerstag in seiner Zelle erschossen. Und das, obwohl das Gefängnis um die Gefahr für ihn wusste. Ob sich an dieser Situation etwas ändern wird, ist mehr als fraglich. Denn Kolumbiens neuer Präsident Alvaro Uribe setzt auf Gewalt. Der rechtsextreme Politiker will das Land militärisch befrieden und die Armee auf 100.000 Mann verdoppeln. Dass auch ihm Verbindungen zum Drogenhandel nachgesagt werden, scheint kaum zu verwundern. Nur: dort sitzen die Auftraggeber für den Bischofsmord.
Walter Achleitner
Ethik der Mehrheit
Vergangenen Sonntag haben bei einer Volksabstimmung in der Schweiz 73 Prozent für die Einführung der Fristenregelung gestimmt. In den Niederlanden und in Belgien haben die Parlamente beschlossen, dass schwer kranke Menschen auf ihren Wunsch von einem Arzt getötet werden dürfen (Euthanasie). In Österreich hat sich eine Mehrheit des Ethikrates der Bundesregierung dafür ausgesprochen, die Forschung an Stammzellen, die durch die Tötung von Embryonen gewonnen werden, zu fördern. Drei Entscheidungen von unterschiedlichem Gewicht. Aber es geht dabei immer um menschliches Leben und um die Frage, ob Mehrheiten seinen jeweiligen Wert bemessen dürfen – oder ob es eine Ethik gibt, die sich demokratischer Willensbildung entzieht.