Eine Spitzenfrau der evangelischen Kirche geht in die Politik. Offiziell ist alles klar: Geistliche Amtsträger, die sich parteipolitisch engagieren, müssen ihr Amt niederlegen. In der deutschen Politik gibt es mehrere evangelische Expfarrer in hohen politischen Ämtern. Dort ist das ein Stück kirchlicher und politischer Normalität.
In Österreich sorgt der Schritt der burgenländischen Superintendentin Gertraud Knoll in der evangelischen Kirche für kontroversielle Diskussionen. Da sind jene, die das gesellschaftlich kantige Eintreten von Knoll für Asylanten und sozial Benachteiligte als wichtiges christliches Zeugnis anerkannt haben. Unter ihnen gibt es solche, die den Abgang Knolls bedauern, aber respektieren. Es gibt aber auch die Enttäuschten, die sich von ihr und ihrer Art des christlichen Zeugnisses viel erwartet haben, die in schwierigen Situationen zu ihr gestanden sind und sich nun im Stich gelassen fühlen. Sie fragen sich, wie leicht oder schwer man ein geistliches Kleid und damit eine Berufung, für die Kirche und die Menschen dazusein, abstreift. Eine Frage, der sich Knoll und die evangelische Kirche insgesamt nicht enziehen können. Was ist das geistliche Amt in dieser Kirche – ein Beruf auf Zeit oder mehr?
Leichter tut sich die Kirche mit der heftigen Kritik jener, die schon bisher gegen Knoll opponiert und ihre Ablöse betrieben haben. Ihr Vorwurf, sie hätte das geistliche Amt nur als Sprungbrett für eine politische Karriere missbraucht, ist dumm und heuchlerisch. Denn diese Kritiker kommen selber aus einer eindeutigen politischen Ecke. Was freilich bleibt, ist die Frage, wieweit durch Knolls Schritt die Offenheit einer Kirche für alle belastet wird.