\"Ist unser Gemeindeleben ein vertrauensvolles Gefüge, wo nichts unter den Teppich gekehrt werden darf und alles angesprochen werden kann?\"
Sr. Kundigunde Fürst
Die Kirche wird von Missbrauchs-Skandalen erschüttert. Sr. Kunigunde Fürst stellt sich Fragen, ob das ein männliches Problem ist, ein Problem der Männerkirche, ein Problem, das die Kirche mit der Sexualität hat.
Es sind – in Österreich – ausschließlich Männerorden von den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen betroffen. Haben Sie dafür eine Erklärung? Hat Prof. Lucetta Scaraffia Recht, die dafür in der Frauenlosigkeit der Kirchenleitung einen Grund sieht (Vatikanzeitung, siehe Kasten unten: „Hintergrund“)?
Sr. Kunigunde Fürst: Die Frage, was wäre wenn, kann ich nicht beantworten. Ich glaube, dass der Großteil der Frauen einen von Männern unterschiedlichen Zugang zur Sexualität hat; sie können meist leichter über ihre Stimmungen, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und insgesamt über die Thematik Sexualität reden. Ich vermute, dass dort, wo Frauen mitreden – in Leitungskreisen, in Managementbereichen – ein Klima von mehr Respekt ist. Durch die Präsenz von Frauen können männerbündlerische Mechanismen hinterfragt, aufgelockert und auch durchbrochen werden. Das könnte die These von Frau Professor Scaraffia stützen. Respekt vor dem Kind und seiner Würde sind bei manchen Männern der Nachkriegsgeneration und auch durch die sogenannte sexuelle Befreiung der „68er-Generation“ noch nicht genug verinnerlicht.
Was müsste die Kirche jetzt machen? Der Platz eines Christen ist immer auf der Seite des Schwächeren. Wir müssen in wirklicher Demut die Erschütterung über das Unrecht bekennen. Es bedarf einer grundsätzlichen Umkehr zur Ehrlichkeit: Hohe Ideale zu haben, zu predigen und auch einzufordern ist gut – wir brauchen Ziele und Vorbilder. Es gibt sie auch! Doch ist jeder Mensch ein Mensch mit oft gravierenden Schwächen, Ecken und Kanten. Hier, denke ich, gibt es die Lüge: sich besser zu dünken, das eigene Image zu polieren, zu tun, als wäre man asexuell, in eine übermenschliche Sphäre erhoben – über alle „fleischlichen Gefühle und Wünsche erhaben“. Ich könnte auch sagen, Gott hat uns als geschlechtliche Wesen geschaffen – unsere Prägungen körperlicher und geistiger Art sind uns zur Gestaltung mit auf den Lebensweg gegeben. Haben wir als Kirche eine entsprechende Sprache entwickelt, um über sexuelle Themen zu sprechen? Wie werden Beziehungen hin bis zur Ehe, auch Zweitehe, gesehen und bewertet? Wie ist unser Blick auf Opfer und Täter im Fall des Missbrauchs?
Was können Sie verzweifelten, zornigen kirchlichen Menschen Helfendes sagen? Viele Menschen mühen sich in den kirchlichen Gemeinden redlich um ein gutes Leben im Sinn Jesu. Wir erfahren uns aber auch als schuldige Kirche. Wir steigen vom „hohen Ross der Selbstsicherheiten“ und der „Glorie“ in den erdigen Staub alles Lebendigen. Es gilt nach dem Beispiel Jesu vom Zöllner zu bitten: Herr, sei uns gnädig! Das erniedrigt den Menschen nicht, es gibt ihm sogar Stärke und Ermutigung. Denn Vergebung und Versöhnung sind starke Säulen unseres Glaubens. Umkehr ist jeden Tag möglich und auch lernbar. Die Hoffnung auf Veränderung lässt Mut fassen und hilft, Konsequenzen zu ziehen.
Sind aus dem „Unten-sein“ neue Einsichten für die Kirchenleitung zu gewinnen? Jetzt ist die Chance, einen Schritt in Richtung Mitsprache aller Mitchristen zu tun: Frauen und Männer, Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Ist unser Gemeindeleben ein vertrauensvolles Gefüge, wo alles angesprochen werden kann? Lernt die Kirche, dass ehrliche Bescheidenheit gegenüber moralischen Ansprüchen der Pastoral eher dient und die Güte Gottes mehr durchscheinen lässt?
Hintergrund
Im Leitartikel in der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ vom 11. März stellt die Historikerin Prof. Lucetta Scaraffia die These auf, der Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Leitungsämtern sei mitverantwortlich für die Missbrauchsskandale. Eine größere weibliche Präsenz in der Entscheidungsebene hätte möglicherweise „den Vorhang männlicher Verschwiegenheit“ angesichts derartiger Verbrechen zerrissen. Frauen seien eher bereit, Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch zu verteidigen, begründet die Wissenschaftlerin ihre These. In entsprechenden Positionen hätten sie schweren Schaden von der Kirche abwenden können. Trotz einer gestiegenen theoretischen Wertschätzung kämen Frauen im Leben der Kirche noch immer nicht angemessen vor.