Die Kirche hat sich zu lange Zeit gelassen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, wenn es um sexuellen Missbrauch geht, darüber lässt Wunibald Müller in seinem Buch keinen Zweifel.Als Theologe, Psychologe und Psychotherapeut arbeitet er mit Opfern und Tätern. Müller beschreibt, welche Voraussetzungen das Risiko erhöhen, zum Täter zu werden. Priester- und Ordenskandidaten müssen psychosexuell reife Persönlichkeiten sein, damit sie auchkontrolliert mit ihrer Sexualität umgehen und innige Beziehungen pflegen können, die für die psychische Gesundheit notwendig sind und Stützen für zölibatäres Leben sein können. Das gilt für hetero- wie für homosexuell orientierte Menschen. Umgekehrt müssen die Alarmglocken läuten, wenn sich Erwachsene nur mit Kindern umgeben und keine sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen pflegen. Müller beschreibt die Schwierigkeit zwischen berechtigter Vorsicht und überzogenem Misstrauen.Einen direkten Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch sieht er nicht. Doch sexueller Missbrauch ist oft eine Ersatzhandlung, und es stellt sich die Frage, ob der Zölibat diese provozieren kann. Müller ist daher für eine Entkoppelung von Zölibat und Priesteramt.Die Kirche muss auf die Opfer zugehen, dürfe aber auch die Täter nicht fallen lassen.
Verschwiegene Wunden. Sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erkennen und verhindern, Wunibald Müller, Kösel-Verlag 2010.