Neben den Chancen birgt das Internet auch hohe Risiken. Die sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in den digitalen Medien steigt. Um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen, veranstaltete die Päpstliche Universität Gregoriana kürzlich in Rom erstmals eine internationale Kinderschutztagung zum Thema „Die Würde der Minderjährigen in der digitalen Welt“. Jesuitenpater Hans Zollner, der den Kongress mitorganisierte, nimmt Stellung zum Thema.
Ausgabe: 2017/45
07.11.2017 - Susanne Huber
Sie sind nicht nur Priester und Theologe, Sie sind auch Psychologe. Welche Risiken birgt das Internet für Kinder und Jugendliche? P. Hans Zollner: Die Risiken bestehen nicht nur, aber vor allem für Kinder unter anderem im Phänomen der Kinderpornografie, das heißt der Darstellung sexueller Bilder oder Videos, die von Kindern oder Jugendlichen aufgenommen und ins Internet gestellt werden – ob sie es nun wissen oder nicht –, und dann ewig dort sind. Denn – auch wenn es möglich ist mit Hilfe technologischer Instrumente durchaus bestimmte Inhalte zu löschen – wenn Fotos oder Videos online waren und nur eine Person sie runtergeladen hat, dann kann diese Person diese Inhalte immer wieder hochladen. Der Missbrauch dieses Materials ist unbegrenzt und man hat nie die Garantie, dass die Inhalte ganz gelöscht sind. Für die Opfer dieser Art von Missbrauch ist besonders schwer auszuhalten, dass sie nicht wissen, wer das anschaut und wo es genutzt wird.
Ein großes Problem ist auch der hohe, unkontrollierte Internetkonsum von Kindern ...Zollner: Genau. Alle Eltern, die ich treffe, beunruhigt das sehr. Sie wissen nicht, wie sie einen angemessenen Konsum des Internets für ihre Kinder steuern können – angefangen von Videospielen über Plattformen bis hin zu aggressiven oder sexuellen Inhalten. Kinder sind ja schon in sehr jungen Jahren viel schlauer als die Erwachsenen, die das auch zugeben. Auch die Filtermöglichkeiten scheinen begrenzt zu sein. Es gibt Studien, die belegen, dass 50 Prozent der Eltern, die solche Filter kaufen, diese nie einschalten. Und wenn sie eingeschaltet sind, finden Kinder relativ bald raus, wie sie um diese Filter rumkommen können. Da ist sehr viel zu tun. Man kann das sicherlich nicht steuern im Sinne von wir verbieten das jetzt. Die Kinder haben diese Instrumente und wir müssen auf eine andere Art und Weise damit umgehen. Das ist der Ansatz heute von Erziehung und Aufklärung.
Welche weiteren Maßnahmen braucht es, um Kinder vor sexueller Gewalt im Internet zu schützen?Zollner: Viele – und diese Maßnahmen müssen auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Das war auch der Grund, warum wir bei diesem Kongress zum ersten Mal Leute zusammengeholt haben aus unterschiedlichen Bereichen – es kamen Vertreter von Regierungen, von großen internationalen Organisationen wie UNICEF, von der internationalen Polizeiorganisation Interpol, von den Internet- und Social-Media-Providern selber, von Religionen und es waren Wissenschaftler dabei aus den entsprechenden Feldern, die sich sowohl mit Prävention als auch mit den Opfern und mit den Tätern und deren Profilen beschäftigen. Das Interessante und sehr Schöne für uns war, dass die Leute diskutiert und sich gegenseitig bestärkt haben und spürbar war, wir können etwas tun und Kinder besser schützen, wenn wir es wollen, aber wir können das nur, wenn wir zusammenarbeiten. Und da war sehr viel Wille da, das zu tun. Ich hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass wir dem Internet nicht einfach wehrlos gegenüberstehen und es uns überrollt, so wie das die letzten 20, 30 Jahre passierte, weil es zu groß, zu schnell und zu komplex ist.
Es besteht also keine ausweglose Situation ...Zollner: Exakt. Es waren Leute da, die in diesem Netzwerk, das sich gebildet hat, tatsächlich den nächsten Schritt gehen und zeigen konnten, wir hecheln dem nicht nur hinterher, was technisch möglich ist, sondern wir können tatsächlich auch etwas tun. Es wird nächstes Jahr im Herbst Nachfolgekonferenzen zu unserer in Rom geben in mindestens vier Kontinenten, und zwar jeweils auf die jeweiligen Länder fokussiert. Die verschiedenen Regierungen, die hier präsent waren, werden sicherlich weiter darauf drängen, dass auf Regierungsebene übernationale Gesetzgebungen und Regelungen geschaffen werden, die es multinationalen Unternehmen wie Google schwierig machen, Daten zu splitten, die sie über ihre Nutzer haben.
Was können konket die Religionen hier tun? Zollner: Religionsgemeinschaften in vielen Ländern dieser Welt bestimmen den Alltag von Menschen mit; das betrifft zum einen die Religionsausübung, zum anderen auch das Bildungswesen. Religionen haben einen wichtigen Vermittlungsauftrag, nämlich Eltern, Lehrer, alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, aufzuklären über die Risiken, die das Internet bietet und darauf hinzuweisen, dass Kinder sehr leicht missbraucht werden können auf verschiedene Arten und Weisen im und durch das Internet und dass sie auch Gefahren ausgesetzt sind in ihrer eigenen Entwicklung, wenn sie das Internet ungefiltert benutzen.
Wurden beim Kongress auch die Internetkonzerne aufgefordert, zu handeln? Zollner: Natürlich haben wir auch die Internetprovider an ihre Verantwortung erinnert. Das hat Papst Franziskus mit sehr starken Worten in seiner Abschlussansprache beim Kongress gesagt. Die Internetkonzerne wie Facebook, Microsoft, Twitter, Snapchat, YouTube und Google müssen von den hohen Profiten, die sie machen, etwas investieren, damit Kinder und auch andere Menschen geschützt werden. Zwei Damen, eine von Facebook und eine von Microsoft, die beide auf Weltebene jeweils für ihre Organisationen für die Internet-Safety-Policy zuständig sind, haben beim Kongress geäußert, dass sie etwas tun. Doch es braucht die Bereitschaft, wirklich ans Eingemachte zu gehen.
Wie viele Kinder sind von sexueller Gewalt im Internet betroffen?Zollner: Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie immer nur das widerspiegeln, was man weiß – und man weiß viel weniger, als tatsächlich geschieht. Im letzten Jahr wurden in Europa 57.000 Internet-Webseiten indiziert, die pädopornografisches Material in Inhalten hatten. Laut einer EU-Kampagne ist im Durchschnitt eines von fünf Kindern in Europa von sexuellem Missbrauch betroffen.
Wie oft treffen Sie Papst Franziskus und wie ist die Zusammenarbeit mit ihm? Zollner: In den letzten Wochen war das etwas häufiger, weil die Kinderschutzkommission tagte und der Kongress gegen Kindesmissbrauch im Internet stattfand. Es gibt schon auch längere Perioden, wo ich ihn nicht sehe. Aber es besteht immer die Möglichkeit, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wenn er Menschen mit Leid begegnet, und das ist auch bei Missbrauch so, dann geht sein Herz auf, dann ist er ganz bei den Menschen. Das merken diese Leute auch. Das habe ich selber beobachten können mit Betroffenen von Missbrauch, die er gesehen hat, wo ich dabei war, um zu übersetzen. Das ist immer eine sehr nahe, eine sehr empathische und gleichzeitig eine sehr respektvolle Begegnung. Das hat sehr viel Gutes und sehr viel Heilsames für diese Menschen bewirkt.
Sie zählen zu den führenden Experten in der Prävention von Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche und Sie sind auch Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. Was wird da getan? Zollner: Die Kinderschutzkommission, die der Papst 2014 eingerichtet hat, ist ein Beratungsgremium für den Papst zu Fragen aller Art, zu Opferkontakt, zu Leitlinien der Bischofskonferenzen, zu Fortbildungsmaßnahmen für kirchliches Personal und darüber hinaus zu Präventionen in Schulen und in Familien, zu theologischen, liturgischen, spirituellen Fragen und zu Rechtsfragen in der Kirche. Wir in den Arbeitsgruppen sind jetzt am Ende unserer ersten dreijährigen Periode angekommen und der Papst wird demnächst entscheiden, wie es weitergeht, ob der Fokus so bleibt, welche Mitglieder verlängert und welche neu hinzukommen werden.
Was bedeutet Kinderschutz für Sie persönlich? Zollner: Dass wir mit großer Konsequenz alles tun müssen, was in unserer Macht steht, um Kinder in einer sicheren Welt aufwachsen zu lassen. Das heißt, dass wir sehr achtsam sein müssen, die Augen aufmachen müssen, den Mund aufmachen müssen, wenn es notwendig ist. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man eine ganz sichere Welt jemals schaffen wird. Aber man kann mit allem, was uns zur Verfügung steht, dafür arbeiten, dass Kinder und Jugendliche so leben, wie es ihr Recht ist. Jesus hat uns aufgetragen, dass wir diejenigen, die Kindern etwas antun, bestrafen müssen. Und da hat er keine sanften Worte gewählt, als er sagte: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.“
- Infos zum Kinderschutzzentrum CCP an der Päpstlichen Universität Gregoriana: http://childprotection.unigre.it