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In den Workshops an der Oberstufe lernen Schüler:innen, wie man psychische Erste Hilfe leisten kann.
Ein gebrochenes Bein, eine blutende Nase oder andere körperliche Verletzungen sind leicht erkennbar, und viele werden auch wissen, was in so einem Fall zu tun ist. Bei psychischen Problemen sieht es oft anders aus. Deshalb bietet das Jugendrotkreuz OÖ ab sofort psychische Erste Hilfe als Teil von Erste-Hilfe-Kursen an Schulen an. Zusätzlich können Schulen ab dem zweiten Semester einen Intensiv-Workshop buchen. Diese Angebote gibt es in fast allen Bundesländern, nur in Wien und der Steiermark (noch) nicht.
In Oberösterreich ist Sigrid Deisenhammer eine jener Trainer:innen, die diese Workshops mit den Oberstufenschüler:innen durchführen. „Es geht bei der psychischen Ersten Hilfe nicht darum, psychische Krankheiten zu behandeln, sondern um eine sofortige Betreuung von Personen, die in emotionalen Stresssituationen sind.“ Deisenhammer ist ehrenamtlich beim Roten Kreuz in Oberösterreich und unter anderem Teil des Kriseninterventionsteams.
Die Workshops sind nach dem Handlungsprinzip „look – listen – link“ aufgebaut (schauen – zuhören – vernetzen).
„Im ersten Schritt, dem ‚look‘, geht es darum, die Situation einzuschätzen: Was ist passiert? Welche emotionalen Reaktionen und welches Verhalten zeigen die Betroffenen? Besteht eine akute Gefahr für mich oder die anderen?“
Hat man sich als psychische:r Ersthelfer:in einen Überblick verschafft, kommt die Kontaktaufnahme mit dem oder der Betroffenen und das „listen“, das aktive Zuhören, welches sich unterscheidet vom passiven Zuhören, sagt Deisenhammer: „Wir üben in der Klasse, das mit Körpersprache, Mimik und Gestik zu vermitteln. Oft wiederholt man das Gesagte und signalisiert, dass man gehört und verstanden hat. Manchmal ist es auch so, dass der oder die Betroffene nichts erzählen möchte. Auch das ist in Ordnung, denn auch stilles Beisammensein kann als Entlastung empfunden werden.“
Beim „link“ schließlich geht es darum, das soziale Umfeld zu aktivieren und Unterstützung zu holen. Dabei arbeitet man sich vom innersten bis zum äußersten Kreis: „Der erste Kreis bezieht sich auf nahestehende Personen wie die Eltern, die beste Freundin, die Oma und so weiter. Im zweiten Kreis sind entferntere Bezugspersonen wie allgemein Freund:innen, Lehrer:innen oder auch Vereinskolleg:innen. Der letzte und äußerste Kreis bezieht sich schließlich auf professionelle Unterstützung, etwa Krisenhotlines, Psycholog:innen, Ärzte und Ärztinnen.“ Deisenhammer weist darauf hin, dass es auch für die Ersthelfer:innen sinnvoll sein kann, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, „wenn ich mit der Situation nicht umgehen kann oder nicht weiß, wie ich helfen kann“.
Die Schüler:innen lernen in den Workshops, zwischen einer psychosozialen und einer psychiatrischen Krise zu unterscheiden. „Bei der psychosozialen Krise gibt es ein belastendes Ereignis als Auslöser, etwa einen Unfall, eine Krankheit, eine Trennung, den Tod eines Familienmitglieds, Gewalterfahrungen oder zum Beispiel auch Schwierigkeiten in der Schule“, erklärt Sigrid Deisenhammer.
Eine psychiatrische Krise wiederum ist ein Notfall, eine psychiatrische Erkrankung, die erstmals auftritt oder sich in dem Moment verschlimmert.
Bei der psychosozialen Krise reichen oft die inneren Kreise, um damit fertigzuwerden. „Je mehr Parameter auftreten Richtung Selbstgefährdung, desto eher werden die äußeren Kreise benötigt.“
In den Workshops werden nicht nur verschiedene Siutationen geübt, sondern auch schwierige Themen angesprochen. „Dazu gehört, dass Probleme und Krisen ein normaler Teil unseres Lebens sind. Überwinden wir diese mithilfe von erlernten Bewältigungsstrategien, wachsen wir persönlich daran“, sagt die Sanitäterin. Es habe sie erstaunt, mit welchem Interesse die Schüler:innen teilnehmen und mit welcher Offenheit sie auch von selbst erlebten Situationen erzählen.
Das Jugendrotkreuz und die Trainerin finden es wichtig, dass die Resilienz Jugendlicher gegenüber alltäglichen Stressfaktoren gestärkt werden müsse, denn die psychischen Belastungen und Probleme würden immer mehr. „Es ist besser, zu stärken und zu unterstützen, als im Nachhinein Therapien zu finanzieren“, schließt Deisenhammer. Angesichts oft fehlender Therapieplätze scheint dies ein mehr als sinnvoller Weg.
Infos zu Erste-Hilfe-Kursen und den Workshops zur psychischen Ersten Hilfe:
Podcast zum Thema:
www.roteskreuz.at/podcast/psychische-erste-hilfe
Sigrid Deisenhammer ist ehrenamtlich beim OÖ Roten Kreuz als Mitarbeiterin der Krisenintervention und Sanitäterin. Außerdem vermittelt sie Kindergartenkindern Erste-Hilfe-Kenntnisse im Rahmen des ROKO-Projekts und hält Workshops für psychische Erste Hilfe an Schulen.
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