Sarah ist sechs Jahre alt, ihr Bruder Max ist fünf. Die Geschwister können nicht teilen und es kommt immer wieder zum Streit. Das macht den Eltern Sorgen. Sie befürchten, dass ihre Kinder fürchterliche Egoisten werden.
Ausgabe: 2014/25, teilen, Erziehung
17.06.2014 - Mag. Barbara Lehner MA
In vielen alltäglichen Situationen beginnen die Kinder zu streiten. Wer bekommt das größte Stück vom Kuchen? Wer kommt beim Spielen zuerst an die Reihe? Wer darf neben Mama oder Papa sitzen? Auch beim Spielzeug sind die Reviere klar abgegrenzt. Sarah wacht über ihre Puppen und Max verteidigt seine Ritterburg, wenn Sarah auch nur in die Nähe kommt. Friedlich miteinander spielen die Kinder nur wenig. Die Eltern wissen nicht mehr, was sie noch alles tun sollen. Sie bemühen sich so, beiden Kindern immer das Gleiche zu geben, die Kinder nicht ungerecht zu behandeln, kein Kind zu bevorzugen – sie haben den Eindruck, nicht noch mehr geben zu können und auch nicht „gerechter“ sein zu können.
Gleich ist nicht immer gerecht
In der Beratung wird mit den Eltern daran gearbeitet, ob immer das Gleiche für die Kinder das ist, was sie jeweils brauchen. Wir denken gemeinsam über die jeweiligen emotionalen Bedürfnisse der Kinder nach und die Eltern erkennen, dass es für Sarah etwa im Moment sehr wichtig ist „groß“ zu sein. Sie möchte sich ihrem Bruder gegenüber als große Schwester erleben, die bald ein Schulkind ist, und die auch besondere Privilegien genießt. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, überlegen die Eltern, Sarah erst eine halbe Stunde nach Max ins Bett gehen zu schicken. Sie fühlt sich dann als „Größere“ behandelt und kann beim abendlichen Ritual die Nähe und Geborgenheit zu und Geborgenheit bei ihren Eltern allein und exklusiv erleben. Und auch Max hat dann beim Zu-Bett-Gehen seine Eltern ganz für sich allein und kann selbst bestimmen, welche Geschichte er vorgelesen bekommt. Zudem haben die Eltern erkannt, dass Max immer wieder seine „Männlichkeit“ erproben möchte. Dazu soll er bald Gelegenheit haben, wenn er im Nachbarort in der Kinder-Fußballmannschaft mittrainieren darf.
Teile mit Weile
Im Verlauf der Beratung finden die Eltern noch einige andere Möglichkeiten, die Individualität von Sarah und Max zu unterstützen. Es zeigt sich, dass die Kinder mit der Zeit weniger streiten und besser teilen können, wenn es den Eltern gelingt, nicht nur „gerecht“ beiden Kindern immer das Gleiche zu ermöglichen, sondern auf die emotionalen Bedürfnisse beider Kinder individuell einzugehen.
Was brauchen Kinder, um teilen zu lernen?
Oft fällt mir in Beratungssituationen wie bei den Eltern von Sarah und Max auf, dass Eltern versuchen, beiden bzw. allen ihren Kindern das „Gleiche“ zu geben. Sie lieben die Kinder und wollen kein Kind bevorzugen. Sie denken, dass sich Kinder benachteiligt fühlen könnten, nicht geliebt fühlen könnten, wenn sie Unterschiede machen, bei dem, was die Kinder bekommen oder was den Kindern erlaubt wird.
Jedes Kind ist anders
Derartige Einschätzungen und Ideen der Eltern zur Erziehung entsprechen oft einer weit verbreiteten „Alltagspädagogik“. Schauen die Eltern differenzierter auf die Bedürfnisse ihrer Kinder, bemerken sie, dass ihr Nachwuchs zu unterschiedlichen Zeiten im Tagesverlauf oder in verschiedenen Altersstufen ungleiche Bedürfnisse hat. Ein Kind braucht es, dass es nach einem anstrengenden Kindergartentag von der Mama verwöhnt wird. Ein Anderes muss und will noch herumtoben. Und das nächste Kind ist raunzig und weinerlich, weil es nach einem Tag mit vielen Anforderungen einfach übermüdet ist.
Jedes Kind individuell behandeln
Gelingt es Eltern, die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und darauf einzugehen, erleben die Kinder, dass sie von den Eltern in ihrer ganzen Person, mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen wahrgenommen werden. Wenn sich die Kinder so angenommen fühlen, fällt es ihnen meist auch leichter zu teilen, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, wenn Bruder oder Schwester jetzt kuscheln dürfen, mehr bekommen als ich gerade, als erstes etwas Begehrtes tun dürfen,... weil sie aus ihrer Erfahrung wissen, dass die Eltern, wenn ich selbst etwas brauche, auch für mich da sein werden und mir das geben werden, was ich gerade brauche.
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