„Eine Kultur, die aus dem Glauben an die Auferstehung lebt, würde ganz anders aussehen. Sie wäre eine Welt, wie sie Jesus erfunden hat.“ Dr. Franz Gruber
Ausgabe: 2012/14, Kreuzpunkt, Leben, Auferstehung, Maria von Magdala,
03.04.2012 - Dr. Franz Gruber
Was Auferstehung ist, die Auferstehung Jesu und unsere eigene, entzieht sich unserer Vorstellung. Alle Bilder der Kunst, der Religion, der Imagination darüber sind nur Ahnungen und hilflose Versuche, das Unvorstellbare sich vorzustellen. Und auf solch unsicherem Boden soll der ganze christliche Glaube gründen? Kein Wunder, wenn die Auferstehung entweder verwechselt wird mit einer Art Weiterleben des Selbst nach dem Tod oder als Fantasiegebilde naiver Menschen belächelt wird, die die Endgültigkeit des Todes nicht akzeptieren wollen. Wo sind also die Erfahrungen, die uns die Osterbotschaft wenigstens spurenhaft erfassen lassen?
Maria von Magdala. Von den biblischen Auferweckungserzählungen ist die zärtlichste jene von Maria von Magdala (Johannes 20, 11–18). Der Tod Jesu muss für die erste Zeugin des Auferstandenen ein ungeheurer Schock gewesen sein, sie durchlebt eine Trauer, wie sie nur jene kennen, die den größten Verlust ihres Lebens bewältigen müssen und deren eigenes Leben wie von allen Quellen abgeschnitten scheint. Wie selbst schon tot, ähnlich wie vor ihrer Heilung, steht Maria Magdalena vor der leeren Grabkammer und weint. Doch dann ereignet sich diese seltsame Wendung. Plötzlich hört sie nicht nur die Stimmen von Engeln, die fragen, warum sie weint, sondern ihren Namen aus dem Mund Jesu selbst, den sie mit einem Gärtner verwechselt hatte.
Zurück ins Leben. Nicht selten geschieht es, unbeachtet aller großen und kleinen Ereignisse in der Welt, dass Menschen von der Stimme eines anderen zurück ins Leben gerufen werden. Vieles kann diese Stimme sein: ein Vertrauter, eine Freundin, ein Kind, ein Therapeut, ein Wasserfall, ein stilles Tal. Die Engel, der Gärtner – sie sind die Figuren eines Lebens, das sich aus anderen Quellen speist. Aus einem Leben, wo jede Träne getrocknet wird und der Tod nicht mehr ist. Als der Auferstandene Marias Namen nannte, berührte er mit dem Klang seiner Stimme ihre tiefste Existenz: ihr einst zerbrochenes und verlorenes Leben, das durch ihn geheilt worden war.
In unvergänglicher Beziehung. Auferstehung wird erahnbar, wenn wir unser Leben, dessen Beziehungsnetz im Tod zerreißt, aus der Beziehung Gottes zum Menschen erblicken. Denn alles, was ist, existiert nur, weil es mit anderem in Beziehung steht. Ohne Beziehung wäre nichts. Im Gottesglauben münden alle Beziehungen in ihren letzten Grund und Sinn: Ich bin, weil mich Gott als sein Du will, weil ich von ihm ins Leben gestellt bin, unbeschadet aller sonstigen natürlichen Ursachen. Doch der Tod ist die radikalste Gegenmacht, alle Beziehungen auszulöschen. Er ist darum auch die mächtigste Waffe der Lebewesen: Sie haben die Macht, ein anderes Leben, ein anderes Du zu vernichten. Die vergängliche Natur und die Gewalt zu töten – dies sind die beiden kosmischen Gehilfen des Todes, um beziehungsvolles Dasein auszulöschen. Aber genau hier setzt die Auferstehungsbotschaft an: Gott ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden (Markus 12,27). Seine Geschöpfe leben nicht nur ein vergängliches Leben, sondern sind auch in seiner unvergänglichen Beziehung geborgen.
Das Versprechen Gottes. Jesu Auferweckung ist das Versprechen Gottes, dass der Mensch und alle Schöpfung zum verwandelten Leben bestimmt sind. Nicht weil sie aus sich heraus unsterblich wären, sondern weil sie von Gott in diese Dimension hinein geliebt, hinein erweckt werden. Jesus ist der Ort, wo dieses Versprechen eingelöst worden ist. Darum ist Jesus, der gekreuzigte Auferstandene, unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Der Osterglaube ist das Licht, die Kraft dieses Versprechens.
Protest gegen den Tod. Jesu Auferweckung ist aber auch ein Protest gegen den Tod und gegen die Gewalt. Die Natur und die Gewalt drohen immer dem Lebenden: „Ich habe die Macht, dein Leben zu beenden!“ Auch Jesu Leben wurde zerbrochen, damit die Menschen weiterhin unter der Angst des Todes vergehen. Mit der Auferstehung Jesu dagegen gibt es eine neue Hoffnung: Gott ist ein Gott der Lebenden, er erinnert sich an sein Versprechen: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir“ (Jesaja 43,5).
Du sollst sein. Es gibt eine Kraft, die schon im Leben diese Energie der Auferstehung in sich trägt. Die Liebe sagt einem Du: Es ist gut, dass du bist. Du sollst sein. Unbedingt! Darum heißt lieben, einem Menschen sagen: „Du wirst nicht sterben“ (G. Marcel), auch wenn du stirbst, bleibst du in der Liebe im Leben. Weil die Liebe stark wie der Tod ist, können auch mächtige Wasser sie nicht löschen (Hohelied 8,6–7). Liebe ist die tiefste Essenz lebendiger Beziehungen, ihr elementarer Baustoff. Im Menschen, vollkommen aber in Gott wird diese Wahrheit offenbar. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat geschrieben: „Man kann vielleicht sagen: Nur die Liebe kann die Auferstehung glauben.“ Ich denke, die Liebe ist das einzige Medium, um das Unvorstellbare der Auferstehung erahnen zu können.
Kultur des Liebens. Aber wir leben nicht in einer Kultur des Liebens, sondern in einer Kultur des Habens. Anstatt alle Kraft in die Gestaltung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen zu setzen, opfern wir unsere Intelligenz und unser Leben einer Welt, die überquillt von unzähligen leblosen Sachen, die wir begehren und haben wollen. Eine Kultur, die aus dem Glauben an die Auferstehung lebt, würde ganz anders aussehen. Sie wäre eine Welt, wie sie Jesus erfunden hat. Eine solche Welt ein Stück weit sichtbarer, spürbarer, glaubbarer zu machen – ist das nicht die Aufgabe des Christentums? Doch dazu müssten die Christen, die Ostern feiern, dort anzutreffen sein, wo Maria Magdalena war: im Kreuzpunkt von Tod und Leben.