Der Film "Superwelt" von Karl Markovics nimmt durchschnittliche Lebensentwürfe in den Blick.
Ausgabe: 2015/13, Superwelt, Markovics
24.03.2015
Es sei wie bei "Atmen", seinem ersten Film als Regisseur, wieder eine Momentaufnahme gewesen, die ihm diese Geschichte zugetragen hätte, erläutert Karl Markovics in einem Interview den Entstehungsprozess seines neuen Films "Superwelt". Ihm sei in einem Supermarkt eine Kassiererin aufgefallen, die in einer Arbeitspause ihr Laufband mit einem Putzmittel gereinigt und dabei ins Leere geblickt hätte. Dieser Blick ins Leere wird zum zentralen Ausdrucksmittel einer folgenschweren Störung im Leben einer Frau, die sich mit der Durchschnittlichkeit ihres Daseins eigentlich abgefunden hat.
Rituale des Alltags
Gabi Kovanda (Ulrike Beimpold) lebt mit ihrem Mann Hannes (Rainer Wöss) in einem Einfamilienhaus irgendwo in der niederösterreichischen Provinz im Osten von Wien. Der Sohn Ronnie (Nikolai Gemel) wohnt auch noch zu Hause und absolviert gerade den Bundesheerdienst, während die Tochter Sabine (Angelika Strahser) mit ihrem Freund in Wien wohnt und nur noch selten zu Besuch kommt. Markovics skizziert mit wenigen, aber präzisen Einstellungen die Rituale des Alltags im Leben von Gabi: die Arbeit als Kassiererin mit den immer gleichen Phrasen: „Schönen Tag noch!“ und „Brauchen´s den Kassazettel?“, die Mittagspause, wenn das Essen für Ehemann und Sohn zubereitet wird, die Abmagerungsdiät mit dem Tee aus der Thermoskanne und dem trockenen Knäckebrot, die Waschmaschine, die beim Schleudern mit tosendem Lärm vom Boden abzuheben scheint, am Abend ein belangloser Liebesfilm im Fernsehen, der auch beim Bügeln leicht zu konsumieren ist. Mit Hannes werden nur noch Satzfetzen ausgetauscht, das Eheleben ist in Routine erstarrt. Als Ausgleich frequentiert sie einen Gymnastikkurs für Frauen in der Turnhalle einer Schule.
Warum ausgerechnet ich?
Nach einer dieser Turnstunden passiert etwas Seltsames. Gabi geht wie traumwandlerisch die Straße entlang, ohne ihr geparktes Auto zu registrieren. Von da an wird sie in immer kürzeren Abständen wie durch eine innere Stimme in einen Zustand versetzt, der sie zu einer anwesenden Abwesenden macht. Wie fremdbestimmt wirken ihre Handlungen und irgendwann beginnt sie auch Selbstgespräche zu führen, die aber wie Dialoge mit einer unsichtbaren Figur erscheinen. „Was wollen Sie von mir? Warum ausgerechnet ich?“ Es ist Gott, mit dem sich Gabi unterhält. Ihr Alltag, aber auch der ihrer Familien, gerät dadurch aus den Bahnen. Sie wagt es nicht, ihre Gottesbegegnung jemandem mitzuteilen. Sie muss sich allein dieser Herausforderung stellen. …
Ein riskanter Film
"Superwelt" ist ein riskanter Film, eine Gratwanderung, das weiß auch Karl Markovics, wie er im Interview mit Gunnar Landsgesell in „Blickpunkt Film“ andeutet: „Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Leuten auch schwer fallen wird, diesen Film zu beurteilen. Und vielleicht fragen sie auch: 'Was ist das jetzt?'"
Egal, wie man die Gottesbegegnung interpretiert, die Bestandsaufnahme der Sinnkrise von Gabi Kovanda wirkt überzeugend, weil sie ein Spiegelbild so vieler Lebensentwürfe ist. Irgendwann kommt für jeden der Zeitpunkt, an dem man sich fragt, ob das schon alles gewesen ist. Anderseits gerät Gabi durch ihr seltsames Verhalten überhaupt, so scheint es, wieder in den Fokus ihrer Familie, für die sie bisher nur funktioniert hat. In drei visuell herausragenden Sequenzen verdichtet Markovics mir seinem Kameramann Michael Bindlechner diesen Zusammenhang: Einmal sieht man Ronnie in Uniform auf den von Leuchtraketen erhellten Himmel starren, ein anderes Mal wird Gabi mitten in der Nacht von der in Flammen stehende Hecke geweckt, die sich durch verglühende Grillkohle entfacht hat und die ihr Mann nun verzweifelt zu löschen versucht. Die dritte Sequenz erfasst in einer Luftaufnahme eine diffuse Menge in einer Freiluftbühne, die von einem Gewitter aufgescheucht wird. Die Kamerafahrt endet bei der allein zurückbleibenden, weinenden Tochter von Gabi. Die Krise von Gabi Kovanda manifestiert erst die Ignoranz, mit der ihr Ehemann und Kinder bisher begegnet sind. Bezeichnenderweise, so viel sei hier verraten, wird die schon erwähnte Waschmaschine einen Hoffnungsschimmer für diese Szenen einer Ehe aus der niederösterreichischen Provinz beisteuern.