„Europa ist immer weniger das Zentrum der Weltkirche“
Vor 20 Jahren, am 21. Februar 1998, wurde Wiens Erzbischof Christoph Schönborn zum Kardinal ernannt. Fast genau so lange ist er Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. Im Interview spricht der Erzbischof, der aus dem Dominikanerorden kommt, über Einfluss und Grenzen seines Amtes, Europa, die „Ehe für alle“ und seine Hoffnung, dass der Papst sein verpflichtendes Rücktrittsangebot in zwei Jahren annimmt.
Ausgabe: 2018/07
13.02.2018 - Heinz Niederleitner
Herr Kardinal, Papst Franziskus hat gesagt, das Amt des Kardinals sei keine Auszeichnung, sondern ein Dienst. Worin besteht dieser Dienst?
Christoph Kardinal Schönborn: Außer, dass er bei feierlichen Anlässen ein rotes Gewand trägt, ist der Kardinal ein normaler Bischof. Kardinal ist er im Hinblick auf die Papstwahl und die Beratung des Papstes. Dazu kommen Dienste für die Weltkirche. Ich bin zum Beispiel Mitglied der Glaubenskongregation, der Bildungskongregation, der Ostkirchenkongregation, im Päpstlichen Rat für die Evangelisierung der Völker, im Synodenrat und in der Kardinalskommission für die Vatikanbank. Im Durchschnitt bin ich einmal im Monat in Rom.
Sie gelten als der „österreichische Kardinal“ – das klingt, als hätte Österreichs Kirche ein Anrecht auf einen Sitz im Kardinalskollegium. Papst Franziskus beauftragt aber vermehrt Bischöfe in Randgebieten der Welt mit diesem Dienst. Sind Sie Österreichs letzter Kardinal?
Schönborn: Als ich 1998 Kardinal wurde, gab es bereits drei Österreicher im Kardinalskollegium: meine Vorgänger, die Kardinäle König und Groër, sowie Kurienkardinal Stickler. Ich habe Papst Johannes Paul II. damals gefragt: Sind vier Kardinäle nicht ein bisschen viel für Österreich? Er hat mich trotzdem ernannt. Der Wiener Erzbischof wurde seit dem 18. Jahrhundert stets ziemlich sicher Kardinal. Wenn Papst Franziskus jetzt Änderungen vollzieht, folgt er der Realität: Europa ist immer weniger das Zentrum der Weltkirche, die Kirchen Afrikas und Asiens sind aufstrebend und vital. Ob wir kleinen mitteleuropäischen Länder künftig einen Kardinal haben werden, wird man erst sehen. In Prag und Budapest gibt es derzeit Kardinäle, in Laibach und Pressburg nicht.
Verstehen Sie sich selbst als Österreichs Kardinal?
Schönborn: Ich bin Bischof von Wien und habe als solcher die gleiche Aufgabe, Würde und Funktion wie alle anderen Bischöfe. Zusätzlich habe ich das Amt des Kardinals und bin fast genau so lange Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. Im letztgenannten Amt sehe ich sehr wohl meine Aufgabe darin, zwischen der österreichischen Kirche und Rom zu vermitteln. Das war auch immer wieder notwendig, zum Beispiel in schwierigen Situationen.
Denken Sie da auch an Bischofsernennungen?
Schönborn: Bei der Kandidatensuche werden, wenn es nach den Regeln geht, alle Bischöfe befragt – und auch Laien. Als Vorsitzender der Bischofskonferenz habe ich keine Extrastimme. Sicher hat das Votum des Vorsitzenden und des Kardinals ein gewisses Gewicht. In der Praxis ist es aber ein Zusammenspiel und der Papst entscheidet.
Im Oktober wird die Bischofssynode über „Jugend und Berufung“ beraten. Werden Sie neben Jugendbischof Stephan Turnovszky daran teilnehmen? Was erwarten Sie sich?
Schönborn: Ob ich vom Papst auch zum Mitglied dieser Synodensitzung ernannt werde, weiß ich noch nicht. Die Jugendsynode wird vermutlich in einer klimatisch anderen Situation stattfinden als die Familiensynoden. Ich glaube nicht, dass es stark um kontroverse Themen gehen wird, sondern um Unterscheidung: die Unterscheidungsfähigkeit, die ein junger Mensch braucht, um seinen Weg als Christ zu gehen.
Die Kirche hat die europäische Einigung stets unterstützt. Jetzt verabschieden sich die Briten aus der EU und der Rest macht auch keinen sehr geeinten Eindruck. Was fehlt da?
Schönborn: Einmütigkeit. Die Einzelinteressen und die einzelnen Sorgen der Länder sind zum Teil sehr unterschiedlich. Aber wir dürfen als Kirche da nicht auf die Politikerinnen und Politiker zeigen, sondern müssen uns an die eigene Brust schlagen: Es ist auch uns in Europa nicht gelungen, zu gemeinsamen Positionen zu kommen und mit einer Stimme zu sprechen. Trotzdem kann ich nur ganz dick unterstreichen: Wir sehen bevorzugt die Schwierigkeiten, nicht aber, dass in unserem Alltag Europa längst eine Wirklichkeit geworden ist.
Sie betonen oft das gute Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Österreich. Ihre heftige Kritik am Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, die staatliche Ehe auch homosexuellen Paaren zu öffnen, klang da ganz anders.
Schönborn: Ich bleibe dabei, dass das Verhältnis in Österreich gut ist. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs kommt auch nicht aus der Politik, sondern von den obersten Verfassungshütern. Was die Politik mit dieser Vorgabe macht, ist noch offen. Da erwarte ich mir noch Diskussionen und vielleicht auch manche Präzisierungen.
Ich bleibe auch dabei, dass ich es für problematisch halte, wenn im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch die Ehe nicht mehr als Gemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts bezeichnet wird. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind in Österreich durch das Partnerschaftsgesetz sehr gut abgesichert und die Kirche hat nie dagegen protestiert. Denn es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass zwei gleichgeschlechtliche Personen in einer Partnerschaft zivilrechtlichen Schutz bekommen.
Zum Wesen der Ehe gehört aber die Generationalität: Wir haben alle Eltern und Großeltern – wir stehen in einer Generationenfolge. Und die gibt es nur durch die Verbindung von Mann und Frau. Deshalb hat die Ehe von Mann und Frau auch rechtlich eine besondere, unersetzliche Stellung. Ob ich da jetzt eine Mehrheitsmeinung vertrete oder nicht: ich bleibe dabei. Oder etwas ironisch gesagt: Das ist meine Meinung und ich teile sie auch.
In knapp zwei Jahren – im Jänner 2020 – werden Sie 75 Jahre alt und müssen dem Papst pro forma Ihren Rücktritt anbieten. Was wollen Sie danach tun?
Schönborn: Ich werde den Rücktritt nicht pro forma, sondern ernstgemeint anbieten – also mit dem Wunsch, dass er angenommen wird. Ich spekuliere nicht, was ich danach machen werde. Natürlich stelle ich mir Fragen, die sich auch ein Pfarrer stellt, wenn er in Pension geht: Wo werde ich wohnen, wie wird das sein? An Beschäftigung wird es mir nicht fehlen, aber ich bin sehr begierig darauf, stillere Zeiten zu haben, damit das geistliche Leben genügend Platz hat. «