„Die Männer müssen lernen uns Frauen zu respektieren“
Die Frauenorganisation „Fundación entre Mujeres“, kurz FEM, eröffnet Frauen in Nicaragua den Zugang zu Land und Einkommen und stärkt sie in ihren Rechten. Die Katholische Frauenbewegung Österreichs unterstützt die Arbeit von FEM.
Ausgabe: 2015/9, Familienfasttag, FEM, Nicaragua, Zamora Munoz, Los Llanos, Maria Isabell, Pernsteiner, Rosenberger, Martinez, Villareyna
24.02.2015 - Ingrid Burgstaller
„Heute lebe ich ein besseres Leben. Hat mich früher jemand angesprochen, habe ich mich weggedreht. Jetzt schäme ich mich nicht mehr. Ich habe gelernt. Zuerst lesen und schreiben. Im vergangenen Dezember habe ich sogar meine Matura gemacht.“ Maria Isabell Zamora Muñoz ist eine der „historischen“ Gründerinnen-Frauen von FEM in Los Llanos. Das Dorf in der Nähe von Estelí, einer Kleinstadt im Hochland Nicaraguas, hat sich verändert seit jenem Tag im Jahr 1995, als die Frauenorganisation hier zu arbeiten begonnen hat. „Am Anfang waren wir nur zu zwölft. Wir sind immer weiter gewachsen. Viele der Frauen waren Analphabetinnen. Die meisten haben Gewalt erfahren. In meinem Dorf leben rund 1200 Menschen, mehr als 300 Frauen sind schon organisiert. In fast jedem Haus in Los Llanos ist eine Frau, die irgendwie mit FEM in Verbindung steht.“ Wenn Maria Isabell von organisierten Frauen spricht, dann meint sie Frauen, die auf eigenen Parzellen Landwirtschaft betreiben, die in Lernzirkeln Schulbildung nachholen, alles über biologischen Anbau lernen, sich über Gesundheitsfragen austauschen und die sich über ihre Rechte informieren. Sie werden ermutigt, Grenzen zu setzen und die ihnen zugeteilten Rollenbilder zu hinterfragen – unerlässlich in einem Land wie Nicaragua, in dem der Machismo allgegenwärtig ist. „Als ich nach den ersten Treffen heimgekommen bin, wusste ich, mich erwarten Probleme. Bei den anderen Frauen war es ähnlich. Erst als die Männer die Vorteile erkannten, als sie gesehen haben, wir tragen zum Familieneinkommen bei, hat sich ihre Einstellung verändert“, berichtet Maria Isabell und ergänzt: „Auch die Männer müssen dazulernen. Sie müssen lernen uns Frauen zu respektieren.“
Bildung ist der erste Schritt
„Zwei Kinder und drei Enkel wohnen noch bei meinem Mann und mir. Das Haus ist sehr klein“, sagt die fünffache Mutter entschuldigend. Doch ihr Gesicht blüht wieder auf, als sie im Inneren auf eine Bilderwand zeigt und aufzählt: „Das ist meine Tochter mit ihrem Krankenschwesterndiplom. Das ist meine andere Tochter, sie hat eine technische Schule besucht …“ Auch die Bäuerin selbst ist zu sehen. Aufgenommen wurde ihr Foto am Tag ihrer Maturafeier. Sie ist ganz im amerikanischen Stil mit Talar und Hut gekleidet. Die 54-Jährige erinnert sich, wie steinig ihr Bildungsweg manchmal war. „Als wir zu den Lernzirkeln gingen, hänselten uns die jungen Burschen: Die sind schon so alt und müssen noch zur Volksschule.“ Maria Isabell überhörte diese Zwischenrufe. Sie wollte schaffen, was den Frauen ihrer Generation so oft verwehrt blieb – einen Schulabschluss. Sie will ein Vorbild für ihre Töchter sein.
Klimawandel wirkt sich aus
„Ich stehe um vier Uhr früh auf und kümmere mich ums Feuer. Dann muss ich zur Maismühle und mache Tortillas für die Familie. Um halb sieben geht es aufs Feld.“ Der Alltag von Maria Isabell ist nach wie vor hart. Doch im Unterschied zu früher arbeitet sie heute selbstständig auf ihrer Kaffeeplantage. Über FEM hat sie ein Stück Land bekommen. „40 Säcke war die vergangene Ernte. Das ist wenig. Der Rostpilzbefall ist dafür verantwortlich. Wir müssen neu anpflanzen.“ Sorgen bereitet ihr auch das veränderte Klima mit einer immer später einsetzenden Regenzeit und heftigen Stürmen. „Es ist deutlich wärmer geworden“, pflichtet Angeles Belmalin Rivas Zamora ihrer Mutter bei. Die junge Frau macht die Abholzung der Wälder als eine der Hauptursachen der Trockenheit aus. Für die auf Selbstversorgung angewiesenen Kleinbauern seien die Auswirkungen eine Katastrophe. Die 22-Jährige ist bereits eine ausgewiesene Landwirtschaftsexpertin und die zweite Generation von „Fundación entre Mujeres“. Sie hat dank eines FEM-Stipendiums studiert und spezialisiert sich auf ökologischen Landbau. Experimente mit organischem Kompost, einer veränderten Aussaat und tieferen Furchen für die Setzlinge hat sie bereits auf einem kleinen Maisfeld mit Erfolg durchgeführt. „Mein Vater meinte nur: Das wird nie etwas. Er hat nicht schlecht gestaunt, als ich ihm dann die Maiskolben präsentierte.“
Wissen weitergeben
Dass neue Ideen langwierige Überzeugungsarbeit bedeuten, ist Angeles bewusst. Auch wenn es nicht leicht wird, sie sieht ihre Zukunft im Dorf. „Ich habe hier meine Wurzeln und ich möchte den Frauen mein Wissen weitergeben. Ich kann sie dabei unterstützen, ihre landwirtschaftlichen Kooperativen noch effizienter zu führen.“ Maria Isabell hört ihrer Tochter aufmerksam zu. Sie weiß, sie ist Teil eines neuen Kapitels von FEM in Los Llanos, einem ganz besonderen Dorf in Nicaragua.
Teilen spendet Zukunft
Zum 58. Mal unterstützt die Katholische Frauenbewegung (kfb) mit ihrer Aktion Familienfasttag Projekte wie FEM in Nicaragua. „Teilen spendet Zukunft“ – das Motto in diesem Jahr ist neu, doch die Ziele sind gleich geblieben:
„Wir haben uns überzeugen können, dass die Spenden aus Österreich ganz viel bewegen. Frauen beginnen sich zu organisieren und verbessern so ihre Lebensbedingungen.“ Die stellvertretenden Vorsitzenden der Katholischen Frauenbewegung in Österreich, Veronika Pernsteiner und Anna Rosenberger, waren vor kurzem in Nicaragua.
Was sind die stärksten Eindrücke dieser Nicaragua-Reise? Veronika Pernsteiner: Ich habe bewegende Gespräche mit kraftvollen Frauen erlebt. Die Projektpartnerinnen in Nicaragua haben mich gebeten, ihre Dankbarkeit an alle in Österreich weiterzusagen. Ich komme mit der Überzeugung heim, dass die Spenderinnen und Spender der Aktion Familienfasttag Großartiges bewirken: Sie geben den Frauen in Nicaragua durch Bildung ein eigenständiges Leben ohne Gewalt, sie tragen bei zu einer Zukunft in eigener Hand.
Wie beeinflusst dieser Blick über den Tellerrand Ihre kfb-Arbeit? Anna Rosenberger: Zigtausende Frauen in ganz Österreich setzen sich für die Aktion Familienfasttag ein. Ihnen möchte ich die Botschaft dieser herzlichen Begegnungen in Nicaragua vermitteln. Bei Projektbesuchen wie bei FEM habe ich gespürt, wie unser gemeinsames Ziel – Frauen ermächtigen – in die Tat umgesetzt wird. Aber es gibt noch genug zu tun und dazu ist unsere Unterstützung weiter notwendig.
Zur Sache
Bildung und Land
Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. 43 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Frauen sind aufgrund der Geschlechterungleichheit besonders betroffen: von Armut sowie psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Seit 1994 kämpft „Fundación entre Mujeres“ (FEM) mit Sitz in Estelí für selbstbestimmte Frauenleben in Nicaragua. FEM setzt auf einen ganzheitlichen Ansatz, der wirtschaftliche Veränderungen und Bildungsarbeit zusammenbringt. Ziel ist es, die Zukunft der Frauen durch Zugang zu Land, Produktionsmitteln und Einkommen nachhaltig zu verbessern. Mittlerweile erreicht FEM in 17 Dörfern rund 2000 Frauen. 400 von ihnen sind in acht Kooperativen organisiert. Sie produzieren Kaffee, Gemüse, Marmelade und andere Produkte für lokale, nationale und internationale Märkte und für den Eigenbedarf. Die Arbeit von FEM trägt aber auch noch andere Früchte: die junge Generation ist gut ausgebildet und sieht durch die Kooperativen eine Zukunft in den Dörfern. Die innerfamiliäre Gewalt hat abgenommen. Zwei FEM-Frauen berichten rund um den Familienfasttag über ihr Leben und die Organisation „Fundación entre Mujeres“. Juana Aydas Villareyna Acuña und Maria Isabell Zamora Muñoz sind auf Einladung der Katholischen Frauenbewegung in Österreich zu Gast.